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BRICS plus: Neue Weltordnung und Ende der Leitwährung US-Dollar?

Die politischen und wirtschaftlichen Interessen der heterogenen Ländergruppe unter Chinas Führung sind zu unterschiedlich, um die westliche Vorherrschaft ernsthaft zu gefährden. Bei den globalen Rohstoffvorkommen wären die BRICS-plus-Mitglieder aber als Block in der Lage, den Westen gehörig unter Druck zu setzen.

Es sind nicht alle glücklich mit den aktuellen Machtverhältnissen auf der Welt. Die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen die geopolitische und geoökonomische Ordnung ändern und ein Gegengewicht zu den USA und zum Westen schaffen. Anfang 2024 wurde die Allianz um fünf Staaten erweitert und heißt nun BRICS plus, wobei Argentinien seine Teilnahme auf Betreiben des neuen Präsidenten Javier Milei im letzten Moment abgesagt hat.

An dieser Stelle ein kleiner historischer Exkurs zur Entstehungsgeschichte: Seit dem Ende des Kalten Krieges herrscht die sogenannte Pax Americana, ein – bis vor kurzem – relativ stabiler Zustand, in dem vor allem die USA und ihre Verbündeten den geopolitischen und geoökonomischen Ton angeben. Der allergrößte Teil des Welthandels wird in US-Dollar abgewickelt, und in internationalen Gremien und Organisationen wie dem Währungsfonds oder der Weltbank sind die USA neben den anderen G7-Staaten das dominierende Schwergewicht. 2009 beschlossen Brasilien, Russland, Indien und China das zu ändern und gründeten die Staatengruppe BRIC. 2010 stieß Südafrika dazu, aus BRIC wurde BRICS. Anfang 2024 wurden auf Initiative von Peking Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Äthiopien aufgenommen. Das BRICS-Format avancierte damit zu BRICS plus. Vor allem Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping verspricht sich davon neue Möglichkeiten bei seinem Ansinnen, die globale Vorherrschaft der USA zu brechen.

Ende der amerikanischen Vorherrschaft und Schutz gegen Sanktionen

Die BRICS-plus-Neumitglieder Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sind wichtige Öl- und Gasproduzenten, Ägypten und Äthiopien bevölkerungsreiche Schlüsselplayer in Afrika. Irans Wirtschaft leidet massiv unter den amerikanischen Wirtschaftssanktionen und sucht dringend neue Handelspartner. Alle diese Mittelmächte haben ein gemeinsames Interesse, das der bekannte Politologe Ivan Krastev folgendermaßen formulierte: Sie wollen am Tisch sitzen und nicht auf der Speisekarte stehen. Sie möchten so wenig wie möglich über das von den USA geprägte internationale Finanzsystem handeln, sie wollen weniger abhängig vom Westen sein, und sie wollen damit vor allem auch etwaige westliche Wirtschaftssanktionen weniger bedrohlich machen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hat die Aufnahme von großen Produzenten fossiler Energieträger für China als Führungsmacht der BRICS-plus-Staaten einen besonderen Reiz. Peking könnte einen Krieg gegen Taiwan vorbereiten – zumindest als Option. Im Rahmen von verschiedenen Kriegsszenarien, die Chinas Führung wohl durchspielt, dürften mögliche Sanktionen des Westens dabei eine besondere Rolle spielen, auch mit Blick auf die harten Strafmaßnahmen gegen Russland nach seinem Überfall auf die Ukraine. Saudi-Arabien, den Iran und die Emirate im Konfliktfall an seiner Seite zu wissen, wäre für die Versorgung mit Erdöl und Erdgas überlebenswichtig und auch politisch hilfreich.

Heterogene Allianz

Doch wie realistisch ist die Etablierung einer neuen Weltordnung und die Ablösung des US-Dollar als globaler Leitwährung? Abgesehen von ihrer Skepsis gegenüber dem von den USA dominierten internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem eint die BRICS-plus-Mitglieder nicht viel – im Gegenteil. Indien und China tragen im Himalajagebirge seit Jahrzehnten einen blutigen Grenzkonflikt aus. Neu Dehli hat sich im geopolitischen Ringen zwischen den USA und China ganz klar auf die Seite Washingtons geschlagen und wird von diesem auch politisch und militärisch unterstützt. Zudem ist die indische Volkswirtschaft im Gegensatz zur chinesischen nach wie vor relativ geschlossen und vor allem auf den Binnenmarkt ausgerichtet, während China ökonomisch auf das Engste mit den USA und der EU verflochten ist, auch wenn es Abkoppelungstendenzen gibt. Saudi-Arabien und Iran sind Erzfeinde, die unter chinesischer Vermittlung erst im Mai 2023 ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen haben und sich im Nahen Osten nach wie vor feindselig gegenüberstehen. Saudi-Arabien pflegt eine strategische Sicherheits- und Energiepartnerschaft mit den USA, während der Iran immer wieder am Rande eines Krieges mit Washington und seinem Verbündeten Israel steht.

Abgesehen davon, dass die fünf BRICS-Gründungsmitglieder eine größere globale Rolle spielen wollten, waren sie nie wirklich gleichgesinnt. Während Russland und China sich immer stärker als Gegenpole zu den USA positionierten, näherte sich Indien sukzessive an die USA an, um einem aggressiver auftretenden China entgegenzutreten. Südafrika und Brasilien spielen nur gelegentlich mit der antiamerikanischen Option, während sie wirtschaftlich und politisch eng mit den USA verbunden bleiben. Nicht von ungefähr sind Indien, Brasilien und Südafrika Demokratien, während Russland und China Autokratien sind, die sich in diesem Punkt bestens mit den autoritären Herrschern Irans und Saudi-Arabiens verstehen.

Neben divergierenden politischen und wirtschaftlichen Interessen entzweit die BRICS-plus-Staaten auch ihr sehr unterschiedliches ökonomisches und demografisches Gewicht. Die fünf BRICS-Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika stellen zusammen rund 41 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1), vereinigen kaufkraftbereinigt rund 32 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf sich (Abbildung 2) und exportieren weltweit rund 20 Prozent aller Waren (Abbildung 3). Als BRICS- plus-Gruppe kommt der Block trotz fünf neuer Mitglieder nur auf wenig mehr, nämlich rund 45 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1), 36 Prozent des globalen BIP (Abbildung 2) und 25 Prozent der weltweiten Warenexporte (Abbildung 3). Die Erweiterung dürfte daher den Charakter des bislang exklusiven Clubs von regional führenden Ökonomien grundlegend verändern. An seine Stelle tritt eine kuriose Mischung aus sehr großen, großen, mittleren und kleinen Ländern, die zum Teil sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Dominiert wird die BRICS-plus-Gruppe ohnehin ganz klar von der Volksrepublik China, die fast zwei Drittel der Wirtschaftsleistung und 39 Prozent der Bevölkerung auf sich vereint. So nachvollziehbar der Führungsanspruch Pekings vor diesem Hintergrund auch sein mag, so problematisch sind diese Ungleichgewichte für ein gemeinsames Handeln auf Augenhöhe. Die Balance zwischen den Interessen der Juniorpartner und dem dominanten China dürfte damit delikat bleiben. Dass es Peking gelingt, aus einer derart heterogenen Gruppe von Ländern einen handlungsfähigen, international relevanten Block zu formieren, darf eher ausgeschlossen werden.

BRICS plus als potenzielle Rohstoff-Supermacht

Auch wenn es mehr gemeinsame politische Interessen gäbe, würde das wirtschaftliche Gewicht der BRICS plus nicht ausreichen, um die bisher von Amerika bestimmte Weltordnung – zumindest kurz- bis mittelfristig – auf den Kopf zu stellen, wie die oben genannten Zahlen zeigen. Dabei gibt es aber eine Ausnahme: Bei den Rohstoffvorkommen wären die BRICS-plus-Staaten als Block in einer dominanten Position. Durch die Aufnahme von Saudi-Arabien, des Iran und der Vereinigten Arabischen Emirate kommen sie auf 43 Prozent der weltweiten Erdölproduktion und einen sehr großen Anteil bei den globalen Reserven. Fast 40 Prozent der für die Produktion von Batterien für elektrische Fahrzeuge, Stromspeicher und Mikroelektronik notwendigen Vorkommen an Seltenen Erden sind in der Hand Chinas. Bei ihrer Verarbeitung hat das Reich der Mitte fast ein Monopol. In puncto Rohstoffversorgung könnte die BRICS-plus-Gruppe den Westen also potenziell gehörig unter Druck setzen, man denke an das Ölembargo der OPEC von 1973.

G7 und US-Dollar nach wie vor dominant

Gesamtökonomisch betrachtet ist eine Neuordnung der Welt und ein Ende des US-Dollars als Leitwährung aber vorerst ein Wunschtraum Pekings, Moskaus und Teherans, der auf absehbare Zeit nicht zu realisieren sein wird. Noch immer erwirtschaften die G7-Staaten, also die wichtigsten Industriestaaten des Westens, mit knapp 10 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1) rund 30 Prozent des globalen BIP (Abbildung 2) und exportieren rund 27 Prozent aller Waren (Abbildung 3). Nach wie vor dominieren die USA als immer noch größte Volkswirtschaft und einzige militärische Supermacht nicht nur die G7 sondern auch die Welt. Rund 62 Prozent der globalen Währungsreserven sind in US-Dollar angelegt, nur zwei Prozent in chinesischen Yuan. Auch die bisherige Bilanz der BRICS-Gruppe spricht gegen ein schnelles Ende der Pax Americana. Ihr bislang größter Erfolg war die Gründung der New Development Bank im Jahr 2014, einer Entwicklungsbank nach dem Vorbild der Weltbank. Bisher begab die Bank Kredite im Umfang von lediglich etwas mehr als 30 Milliarden US-Dollar. Bezeichnenderweise wurden die Kredite hauptsächlich in US-Dollar vergeben.

Aus der Sicht Chinas sind die magere Bilanz des bisherigen BRICS-Formats und die unsicheren Aussichten für BRICS plus aber verkraftbar. Das alte BRICS-Format hat die Interessen der Machthaber in Peking nicht wirklich vorangebracht. Warum also nicht einen Neustart versuchen, der die USA und ihre Partner zumindest irritiert und womöglich einige bilaterale Beziehungen intensivieren könnte, insbesondere im Nahen Osten, wo China mehr Einfluss gewinnen will. Gleichzeitig erlaubt die BRICS-plus-Initiative den daran beteiligten Mittelmächten, sich im beginnenden Kalten Krieg zwischen China und den USA als Akteure im geopolitischen Wettbewerb zu positionieren, um nicht Spielball oder Kriegsschauplatz zu werden.

Autor:
Mario Holzner ist Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und war 2023 Fellow der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW) der Europäischen Kommission.

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.

Bedeutung und Charakteristika der im österreichischen Außenhandel tätigen Firmen

Die durch Exportaktivitäten erzeugte Wirtschafsleistung in Österreich beträgt etwa 30%. In der Sachgüterindustrie sind durchschnittlich etwas mehr als zwei Drittel der Firmen international aktiv. Die Exportaktivitäten sind dabei auf Dauer angelegt. Größere Firmen sind wesentlich häufiger international aktiv und tragen den größten Teil an Exporten bei. Exportierende Unternehmen sind in Durchschnitt größer, erwirtschaften mehr Überschüsse und investieren mehr im Vergleich zu Firmen, die nicht exportieren. Diese bezahlen auch höhere Löhne, was jedoch nicht per se auf Exportaktivitäten sondern auf die höhere Produktivität zurückzuführen ist. Schließlich zeigt sich enge und gegenseitige Verbindung zwischen Exporten, F&E-Aktivitäten und Produktivität.

Österreichs Wohlstand hängt im hohen Umfang von Exporten ab. Ihr Anteil an der österreichischen Wirtschaftsleistung beträgt mehr als die Hälfte. Zieht man die für die Produktion der Exporte notwendigen Importe ab, stammt immer noch etwa ein Drittel der heimischen Wertschöpfung aus Exporten (siehe Grafik 1).

Trotz der großen Bedeutung der Exportwirtschaft für Österreich war bislang wenig über die Charakteristika exportierender Firmen bekannt. Wie groß ist der Anteil der österreichischen Unternehmen, die exportieren? Sind es vorrangig große oder kleine Firmen? Sind Exporteure produktiver und erfolgreicher?

Der Zugang zu Mikrodaten über das AMDC der Statistik Austria erlaubt erstmals detaillierte Antworten auf diese Fragen zu geben (Stehrer et al., 2022; Stehrer, 2023).

Wie viele Unternehmen exportieren wie viel?

Nicht alle Unternehmen exportieren. Im Durchschnitt über die Jahre 2013-2020 beträgt der Anteil der im Außenhandel tätigen Unternehmen in der österreichischen Sachgüterproduktion etwa 70%. Etwas mehr als 55% sind sowohl Exporteure als auch Importeure. Etwa 6% sind reine Exporteure, und nicht ganz 10% sind nur als reine Importeure international aktiv. Die restlichen 28% betreiben weder Exporte noch Importe (siehe Grafik 2).[1]

Die Exportaktivitäten österreichischer Unternehmen sind dabei auf Dauer angelegt. Etwa 90-95% der exportierenden Unternehmen eines Jahres exportieren auch im nächsten Jahr und nur 1-2% aller Unternehmen pro Jahr beenden ihre Exportaktivität. Weitere 5% der Unternehmen eines Jahres scheiden aufgrund einer Insolvenz oder Firmenschließung aus dem Markt aus.

Umgekehrt beginnen nur wenige nicht-exportierende Unternehmen (etwa 5% pro Jahr) mit Exportaktivitäten. Als Folge nimmt der Anteil der Exporteure an allen Unternehmen langsam, aber stetig zu, wie Grafik 2 zeigt. Waren 2013 noch 33% der Firmen nicht international aktiv, ist dieser Anteil bis 2020 auf etwa 26% gesunken. Auch die Wirtschaftskrise und die Störungen der Lieferketten infolge von Covid-19 konnten diesen Trend nicht stoppen.

Nicht-Exporteure haben auch eine höhere Wahrscheinlichkeit von etwa 5-10% aus dem Markt auszutreten. Im Durchschnitt treten pro Jahr etwa 5% der Unternehmen (in Prozent der existierenden Unternehmen) ein. Davon macht der Anteil jener Unternehmen, die sofort exportieren, etwa zwei Drittel aller Markteintritte aus.

Kleinere Firmen exportieren deutlich seltener als große Unternehmen. Während bei Firmen mit weniger als 10 Beschäftigten Exporteure in der Minderheit sind, exportieren etwa die Hälfte der Firmen mit 10 bis 49 Beschäftigten. Firmen mit mehr als 49 Beschäftigten sind sogar zu mehr als 80% Exporteure. Großunternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten, die nicht exportieren, kommen sehr selten vor (siehe Grafik 3).

Deutschland ist der wichtigste Exportmarkt österreichischer Firmen; das bedeutet allerdings nicht, dass sich österreichische Exporteure auf diesen Markt beschränken. Der Anteil der „marginalen Exporteure“, also von Firmen, die lediglich in ein Land exportieren, liegt bei nur 15% der exportierenden Firmen. Definiert man „marginale Exporteure“ etwas strenger als Firmen, die nur ein Produkt in ein bestimmtes Land exportieren, sinkt ihr Anteil auf nur mehr rund 7%. Die Anteile der „marginalen Importeure“ sind mit 7% und 3,5% nach diesen Definitionen nur halb so hoch. Wenig überraschend sind diese Anteile bei den kleineren Firmen wesentlich höher.

Insgesamt leistet eine kleine Zahl an Unternehmen einen großen Teil der Exportumsätze. Rund zwei Drittel der Exporte entfallen auf 5% der exportierenden Firmen, 75% auf etwa 10% der Firmen und 90% auf ein Viertel der im Export tätigen Unternehmen. Ähnlich sieht es beim Import aus. Lediglich 25% der Firmen zeichnen für 90% aller Importe verantwortlich. Unterscheidet man nach der unterschiedlichen Größe von Unternehmen, ist diese Konzentration zwar etwas geringer, aber immer noch stark ausgeprägt.

Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist diese Konzentration einerseits ein klares Zeichen für die Erfolge einiger österreichischer Unternehmen auf internationalen Märkten; sie bedeutet allerdings auch, dass es in der österreichischen Wirtschaft eine Gruppe von Unternehmen gibt, die möglicherweise deutlich anfälliger für internationale Nachfrageschocks oder Störungen internationaler Liefernetzwerke sind.

Die Stärken exportierender Firmen

Exportierende Unternehmen sind größer, erwirtschaften mehr Überschüsse und investieren mehr im Vergleich zu Firmen, die nicht exportieren. Diese „Exportprämie“ liegt absolut bei einem Faktor von etwa 2-3. Pro geleisteter Arbeitsstunde liegen Umsatz, Löhne und Betriebsüberschüsse bei Exporteuren um einen Faktor 1.2 bis 1.6 höher. Berücksichtigt man jedoch sowohl die Größe und Produktivität der exportierenden Firmen als auch sozio-ökonomische Merkmale (Bildung, Alter, Geschlecht) der Beschäftigten zeigt sich, dass die Exportaktivität nur einen sehr geringen positiven Effekt auf Löhne und Gehälter der Beschäftigten hat, was bedeutet, dass Produktivität und Performance der Firmen wichtigere Faktoren sind. Diese Zusammenhänge, zeigen sich auch in Bezug auf ihre Importtätigkeit. Auch sind Firmen, die Teil einer internationalen Unternehmensgruppe sind, sehr oft ebenfalls größer und produktiver als rein inländische Unternehmen. Dieses Muster entspricht sowohl den empirischen Ergebnissen für andere Länder als auch der gängigen theoretischen Literatur über die Performance heterogener Unternehmen. Auch Firmen, die nur in ein Land oder nur ein Produkt exportieren (marginale Exporteure), sind tendenziell größer und produktiver als Unternehmen ohne Exportaktivitäten, allerdings in geringerem Ausmaß als Firmen mit diversifiziertem Exportportfolio.

Eine Erklärung für die positive Exportprämie ist die gegenseitige, enge Verbindung zwischen Exporten und Produktivität: Exporteure sind produktiver als Nicht-Exporteure und eine höhere Produktivität in der Vergangenheit geht einher mit einer signifikant höheren Exportintensität. Exporteure betreiben auch häufiger Forschung und Entwicklung (F&E) und investieren häufiger in Digitalisierung als Nicht-Exporteure. Es gibt kaum F&E-aktive Unternehmen ohne Exporte und je mehr in F&E investiert wird, umso höher ist der Exportanteil am Umsatz. Die Kausalität zwischen Exporten und F&E läuft in beide Richtungen, d.h. Exporte schaffen Anreize und Druck, neue Produkte zu entwickeln, genauso wie F&E die Grundlage für Produkte schafft, die international vermarktet werden können.

Fazit

Exporte sind für den Wohlstand in Österreich von entscheidender Bedeutung. Neue Daten zeigen, dass Exportaktivitäten in der österreichischen Sachgüterproduktion sehr verbreitet sind; die Hälfte der Firmen mit 10 oder mehr Beschäftigten exportieren. Zwei Drittel der Exportumsätze entfallen allerdings auf nur 5% der exportierenden Firmen.

Exportierende Firmen sind größer und wirtschaftlich erfolgreicher; pro geleistete Arbeitsstunde liegen Umsatz, Löhne und Betriebsüberschüsse bei Exporteuren deutlich höher als bei Firmen, die nicht exportieren. Der entscheidende Faktor ist hier die höhere Produktivität exportierender Firmen: je produktiver eine Firma ist, desto besser kann sie sich auf Exportmärkten behaupten; umgekehrt zwingt die internationale Konkurrenz exportierende Firmen, ihre Produktivität permanent zu erhöhen.

Wirtschaftspolitisch ergibt sich daraus, dass Maßnahmen zur Förderung der Produktivität von Unternehmen zu einer besseren Exportperformance führen und umgekehrt Maßnahmen zur Förderung der Exportaktivitäten eventuell zu einer besseren Performance der Unternehmen führen. Insbesondere sind die engen Beziehungen zwischen F&E und Exporten wirtschaftspolitisch sehr wichtig, denn sie zeigen einen Weg zur Steigerung der Exportintensität über die Förderung von F&E und Innovation auf.

Wenn es wie in der Vergangenheit gelingt, die Zahl der F&E-betreibenden Unternehmen in Österreich zu erhöhen, wird auch der Anteil der Exporteure weiter steigen. Analoges gilt für den Zusammenhang zwischen Produktivität und Exporten. Maßnahmen, die die Produktivität erhöhen wie etwa Forschungsförderung sollten langfristig auch die Exporttätigkeit der österreichischen Unternehmen steigern. Im günstigsten Fall verstärken sich Exporte und Produktivität über die Zeit gegenseitig.


[1] Diese Zahlen beziehen sich auf die Primärerhebung der Leistungs- und Strukturerhebung (LSE).

Autoren:

Dr. Bernhard Dachs und Univ.-Doz. Dr. Robert Stehrer (wiiw)

Bernhard Dachs ist Senior Scientist am Center for Innovation Systems & Policy des AIT Austrian Institute of Technology in Wien. Er studierte Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und erhielt ein Doktorat in Wirtschaftswissenschaften der Universität Bremen. Seine Spezialgebiete sind Innovationsökonomie und Internationalisierung, insbesondere im Hinblick auf die Internationalisierung von F&E, die Auswirkungen von Digitalisierung auf den Außenhandel sowie internationale Wertschöpfungsketten. Seine Arbeit ist vor allem empirisch und angewandt. Er war in einer Reihe von Beratungs- und Forschungsprojekten für österreichische als auch internationale Auftraggeber tätig. Seine Forschungsergebnisse wurden in verschiedenen referierten Fachzeitschriften veröffentlicht.

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.

Die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone: Fortschritte, Chancen und Herausforderungen für Afrikas megaregionale Initiative

Die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) ist eine ehrgeizige und vielversprechende Initiative für Afrika und darüber hinaus. Sie kommt zu einer Zeit, in der der Kontinent vor vielen Herausforderungen steht. Afrika beherbergt die größte Gruppe von Entwicklungsländern der Welt, von denen 33 zu den am wenigsten entwickelten Ländern und 16 zu den Binnenentwicklungsländern gezählt werden.

Einleitung

Mit der Verabschiedung des Abkommens zur Errichtung der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) im Mai 2018 wurde der regionalen Integration Afrikas ein neuer Impuls verliehen. Die AfCFTA verspricht, 1,4 Milliarden Menschen in 54 der 55 afrikanischen Länder (Eritrea nimmt nicht teil) miteinander zu verbinden, die einen Markt mit einem gemeinsamen Bruttoinlandsprodukt von 3,4 Billionen USD umfassen. Es sieht freien Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr und kontinentale Regeln für Wettbewerb, Investitionen, geistiges Eigentum, digitalen Handel sowie Regeln für Frauen und Jugendliche vor.

Betrachtet man die jüngste Entwicklung des Handels in Afrika, so ist nach der Pandemie ein Aufschwung zu verzeichnen. Der Handel wuchs von 589 Milliarden USD im Jahr 2021 auf 689 Milliarden USD im Jahr 2022. Dieses zweistellige Wachstum lag über den Zuwächsen anderer Regionen in der Welt. Dennoch hat sich das Bild von der schwachen Beteiligung des Kontinents am Welthandel nicht geändert. Der Anteil Afrikas am Welthandel schwankte in den letzten zehn Jahren um die 3%, wie in Abbildung 1 dargestellt ist. Dieser wird von den Anteilen anderer Regionen weit überschattet.

Dieser geringe Anteil Afrikas am Welthandel wird dem Kontinent jedoch kaum gerecht. Afrika beherbergt 25 Prozent der Weltbevölkerung und stellt einen Verbrauchermarkt dar, der 2015 einen geschätzten Wert von 1,4 Billionen USD hatte und bis 2030 auf 2,5 Billionen USD anwachsen soll. In diesem Zusammenhang ist die AfCFTA Teil der Agenda 2063 der Afrikanischen Union, die die Zukunftsvision Afrikas beschreibt. Die AfCFTA wird daher als Chance für Afrika gesehen, die großen Entwicklungsherausforderungen zu bewältigen und sich durch den Handel sowohl regional als auch global besser zu integrieren.

Stand der AfCFTA-Verhandlungen

Seit dem historischen Inkrafttreten des Abkommens, mit dem die AfCFTA im Jahr 2019 ins Leben gerufen wurde, sind wichtige Fortschritte erzielt worden. Insgesamt 47 der 54 Vertragsstaaten haben das Abkommen bisher ratifiziert.

Für den Warenhandel wurde das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Zölle für 97% des Handels zu liberalisieren. Die Vertragsstaaten haben entweder individuell oder als Teil einer regionalen Wirtschaftsgemeinschaft (REC) Zollangebote unterbreitet, in denen die Waren aufgeführt sind, die dem zollfreien Handel unterliegen. Die restlichen 3% machen sensible oder davon ausgeschlossene Waren aus.

Im Bereich des Dienstleistungsverkehrs sind die Verhandlungen in fünf vorrangigen Sektoren fortgeschritten, nämlich Unternehmens-, Kommunikations-, Finanz-, Tourismus- und Verkehrsdienstleistungen. Es wurden Dienstleistungsverzeichnisse erstellt, in denen der Marktzugang und inländische Erfordernisse in diesen Sektoren festgelegt werden. In künftigen Liberalisierungsrunden wird über weitere Sektoren verhandelt werden, wobei einige Länder bereits Angebote für nicht vorrangige Sektoren wie Gesundheits-, Bildungs- und Freizeitdienstleistungen unterbreitet haben.

Sowohl für Waren als auch für Dienstleistungen wurden und werden die vorgelegten Verpflichtungslisten technisch überprüft, um sicherzustellen, dass sie mit den Vereinbarungen übereinstimmen. Zur Erleichterung eines wirtschaftlich sinnvollen Handels mit Waren und Dienstleistungen im Rahmen der AfCFTA gibt es auch weitere Handelsinitiativen für Länder, die Unterstützung benötigen.

Für die sogenannte AfCFTA-Verhandlungsphase II wurden im Februar 2023 drei Protokolle mit gemeinsamen Regeln für geistiges Eigentum, Investitionen und Wettbewerb angenommen. Die Vertragsstaaten verhandeln nun weiter über zwei weitere Protokolle zu Frauen und Jugend bzw. zum digitalen Handel. Diese werden als entscheidend angesehen, um die Vorteile des AfCFTA voll auszuschöpfen, da Frauen und Jugendliche das Rückgrat des Privatsektors bilden und der digitale Handel ein sehr dynamischer Sektor ist, der jährlich um 40% wächst und bis 2025 voraussichtlich ein Volumen von über 300 Milliarden USD erreichen wird.

Parallel zum AfCFTA haben die Mitglieder der Afrikanischen Union auch Protokolle zur Förderung des freien Personenverkehrs und eines einheitlichen afrikanischen Luftverkehrsmarktes unterzeichnet, die die Mobilität der Menschen auf dem Kontinent erleichtern und den kommerziellen Luftverkehrsmarkt von verschiedenen Hindernissen befreien sollen, sobald diese in Kraft treten.

Erwartete Vorteile und Auswirkungen des AfCFTA

Historisch gesehen war die Zusammensetzung des afrikanischen Handels durch den Handel mit Primärgütern mit geringer Wertschöpfung gekennzeichnet. Obwohl es eine gewisse Diversifizierung des Handels gibt, zunehmend mit Asien und auch innerhalb des Kontinentes selbst, ist der Handel mit dem traditionellem Partner Europa immer noch sehr dominant. Wie aus Abbildung 2 hervorgeht, war die EU zwischen 2016 und 2022 im Durchschnitt das wichtigste Handelsziel Afrikas, auf das mehr als ein Viertel des Handels des Kontinents mit der Welt entfiel (28,6% der Ausfuhren und 26,9% der Einfuhren). Die afrikanischen Exporte und Importe nach und aus Österreich hatten im Durchschnitt einen Anteil von 0,3% am Gesamthandel.

Der zweite Platz ist eng zwischen dem Kontinent selbst und China umkämpft. Die innerafrikanischen Exporte machten 15,5% des afrikanischen Welthandelsanteils aus, dicht gefolgt von China (14,9 %) und Indien (6,8%). Die afrikanischen Einfuhren aus China machten 17,8% des Gesamthandels aus, verglichen mit 14%, 9,1% und 5% aus Afrika, Amerika und Indien. Der Handel mit der übrigen Welt machte im Zeitraum 2016-2022 im Durchschnitt fast ein Drittel der gesamten afrikanischen Ausfuhren (31,6%) und etwas mehr als ein Viertel der gesamten afrikanischen Einfuhren (26%) aus.

Bei näherer Betrachtung des Handels mit der EU zeigen sich deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung der Ein- und Ausfuhrmuster des Kontinents. Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, handelt es sich bei den afrikanischen Exporten in die EU in erster Linie um den Handel mit mineralischen Rohstoffen, d. h. Brennstoffen (46%), gefolgt von Industrieerzeugnissen (28%) und Nahrungsmitteln (14%), bei denen der Kontinent im Allgemeinen nur eine geringe Wertschöpfung erzielt. Betrachtet man dagegen die afrikanischen Importe aus der EU, so handelt es sich bei mehr als zwei Dritteln um Industrieerzeugnisse (67%), während verarbeitete Nahrungsmittel und Brennstoffe mit einem Anteil von jeweils 13% in den Hintergrund treten. Der innerafrikanische Handel zeigt dagegen ein anderes Bild. Innerhalb des Kontinents stehen Industrieerzeugnisse (45%) an erster Stelle, gefolgt von Brennstoffen (21%) und Nahrungsmitteln (20%).

Mit der AfCFTA werden sich diese Handelsmuster voraussichtlich ändern. Schätzungen zufolge wird der innerafrikanische Handel bis 2045 um 34% höher sein als ohne AfCFTA. Der Handel in Sektoren wie Agrar- und Ernährungswirtschaft, Dienstleistungen und Industrie wird um 49,1%, 37,9% bzw. 35,7% zunehmen. Der Anstieg in den Bereichen Energie und Bergbau wird mit 19,4% jedoch etwas geringer ausfallen. Mit der AfCFTA wird der Wert des innerafrikanischen Handels bis 2045 voraussichtlich um 577% steigen (gegenüber 405% in einem Szenario ohne AfCFTA). Dies würde zu einem Nettogewinn an innerafrikanischem Handelszuwachs von schätzungsweise 195 Mrd. USD führen, und der Anteil des innerafrikanischen Handels würde von heute 15% auf über 26 % im Jahr 2045 steigen.

Der innerafrikanische Handel mit Verkehrsdienstleistungen hat das Potenzial, um fast 50% zuzunehmen. Mehr als 25% der Zuwächse im innerafrikanischen Handel mit Dienstleistungen würden allein auf den Verkehr entfallen und Transportdienstleistungen würden bis zu 40% des Anstiegs der afrikanischen Dienstleistungsproduktion ausmachen. Im Jahr 2019 betrug die Nachfrage nach Lkws für den Transport von Massengütern 698.000. Ohne das AfCFTA und den Ausbau der Infrastruktur, wie ursprünglich geplant, würde diese Nachfrage nur auf 1,3 Millionen ansteigen verglichen mit einem Szenario mit vollem AfCFTA und Ausbau der Infrastruktur im Jahr 2045, bei dem die Nachfrage nach Lkw für Massengüter bis 2030 auf 1,9 Millionen ansteigen würde. Derzeit machen die Transportkosten in Afrika zwischen 15 und 20 % des Werts der Importe aus. Dies entspricht dem Doppelten oder sogar Dreifachen der Kosten in den Industrieländern.

Handels- und Investitionsmöglichkeiten in Afrika

Angesichts der geschätzten Gewinne und dynamischen Auswirkungen des AfCFTA ergeben sich durch die Handelsintegration Afrikas beträchtliche Chancen. Die erwartete Vergrößerung des Marktes wird die Markteffizienz fördern und Afrika zu einem attraktiveren Ziel für ausländische Investitionen und Handel machen.

Wie die Schätzungen für 2045 zeigen, besteht innerhalb der AfCFTA Spielraum für eine tiefere und dienstleistungsbasierte Industrialisierung. Es wird erwartet, dass dieser Handel zunehmend auch Zwischenprodukte für die Weiterverarbeitung innerhalb des Kontinents umfasst und so die regionalen Wertschöpfungsketten stärkt.

Im Gegensatz zu den weltweiten ausländischen Direktinvestitionen, die auf den Rohstoffsektor ausgerichtet sind, konzentrieren sich die innerafrikanischen Investitionen eher auf den Dienstleistungssektor, insbesondere auf das Versicherungswesen, den Bankensektor und die Telekommunikation. Das AfCFTA ist daher ein wichtiges Instrument zur Förderung des innerafrikanischen Handels und der Investitionen, insbesondere in den dynamischeren Sektoren. Die neue Handelsnachfrage durch das AfCFTA führt beispielsweise zu einem erhöhten Bedarf an Lastkraftwagen, Schienenfahrzeuge, Flugzeugen und Schiffen und damit zu einem Investitionspotenzial von 411 Milliarden USD. Insgesamt eröffnet das AfCFTA Chancen für (in- und ausländische) Unternehmen, die bereits auf dem Kontinent tätig sind, oder für diejenigen, die eine Produktionsstandort für den afrikanischen Markt errichten wollen.

Bestehende Herausforderungen und Bedenken im Zusammenhang mit dem AfCFTA

Obwohl sich die AfCFTA in einem frühen Stadium befindet, gibt es einige wichtige Herausforderungen und Bedenken. Diese reichen von den zahlreichen und sich überschneidenden REC-Mitgliedschaften, (siehe Tabelle 1) über die Kosten der Handelsanpassung, die Koexistenz mit anderen Handelsabkommen und früheren Verpflichtungen bis hin zur Fähigkeit der Länder, die verschiedenen Protokolle rechtzeitig in nationales Recht, Politik und Gesetzgebung umzusetzen.

Eine wichtige Frage dabei ist, wie das AfCFTA mit anderen Abkommen und Verpflichtungen koexistieren können wird, die bereits bestehen oder mit anderen Regionen, wie der EU und China, derzeit ausgehandelt werden. Mit der EU haben einige Länder bereits Wirtschaftspartnerschaftsabkommen geschlossen (siehe Tabelle 1). Das AfCFTA-Abkommen wird die Länder dazu zwingen, diese Abkommen im Lichte der neu hinzugekommenen Verpflichtungen zu überarbeiten.

Es wird erwartet, dass das AfCFTA-Abkommen dazu beitragen wird, die derzeitige Handelsabhängigkeit Afrikas bei Primärgütern von seinen externen Partnern, einschließlich der EU und China, zu verringern, insbesondere im Hinblick auf industrielle Einfuhren, was letztendlich dazu beitragen könnte, die Handelsdefizite der afrikanischen Länder gegenüber ihren externen Partnern zu verringern. Dies ist eine Chance für eine Verlagerung hin zu mehr Wertschöpfung und Zwischenhandelsstrukturen, von der Afrika und seine Handelspartner außerhalb des Kontinents profitieren können.

Ein Blick in die Zukunft

Das AfCFTA-Abkommen bietet beispiellose Möglichkeiten für Afrikas Transformation, Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklung. Auch wenn sich Aspekte der AfCFTA-Verhandlungen noch entwickeln, ist es wichtig, den Umsetzungsprozess des Abkommens zu überwachen und zu unterstützen. Die wirksame Umsetzung der AfCFTA erfordert gemeinsame Anstrengungen und verschiedene Partnerschaften auf globaler und regionaler Ebene, die Afrika und seinen Geschäftspartnern helfen könnten, die erwarteten Vorteile und Chancen dieser Megaregion zu nutzen.


Autorin:

Laura Páez ist derzeit Gastwissenschaftlerin am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Sie ist eine internationale Entwicklungsexpertin mit mehr als zwanzig Jahren Berufserfahrung. Aktuell ist sie bei der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Afrika (ECA) tätig, wo sie die Abteilung für Marktinstitutionen leitet. Zuvor war sie Leiterin der Abteilung für Investitionspolitik bei der ECA. Ihre derzeitige Arbeit konzentriert sich auf die Gewinnung von Wissen über die regulatorischen und politischen Dimensionen in den Bereichen Investitionen, Wettbewerb, geistiges Eigentum, Dienstleistungen und Digitalisierung in Afrika, um regionale Integrationsprozesse wie die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone zu unterstützen.

Vor ihrer jetzigen Tätigkeit bei der ECA arbeitete Laura Páez bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung in Genf an Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas im Rahmen der Handels- und Entwicklungsagenda des Kontinents.

Die Graphiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.

FIW-Spotlight: Prognose des Warenaußenhandels 2023 und 2024

Der massive Preisauftrieb und Energiepreisschock des Vorjahres sowie ein kräftiger Abbau von Vorsichtslagern schwächen 2023 die weltweite Industrieproduktion und den Welthandel. Zusätzlich sorgen der Inflationsabstand Österreichs zu wichtigen Handelspartnern und die Aufwertung des Euro für eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsposition. Trotzdem expandierten die österreichischen Warenexporte im ersten Halbjahr 2023 mit 3,9% (real) kräftig und Marktanteile in wichtigen Märkten konnten ausgeweitet werden. Die Exportdynamik wird sich in der zweiten Jahreshälfte deutlich einbremsen und für das Gesamtjahr 2023 wird ein Wachstum der Warenexporte von rund 1,5% (real) erwartet. Im Jahr 2024 dürften die Exporte um 2,5% (real) zulegen. Das Handelsbilanzdefizit im Warenaußenhandel wird sich im Jahr 2023 mit -10,3 Mrd. € auf die Hälfte des Vorjahreswertes reduzieren. Dazu trägt auch die Verbesserung der Terms-of-Trade dank eines Rückgangs bei den Energiepreisen bei. Die Hauptergebnisse der Außenhandelsprognose sind in Übersicht 1 zusammenfassend dargestellt.

Globale Wirtschaftsleistung verliert an Schwung und dämpft das Wachstum österreichischer Exportmärkte

Die weltwirtschaftliche Entwicklung verlor zuletzt deutlich an Schwung (siehe Abbildung 1.1). Sie wird von einer Schwäche der globalen Industrieproduktion begleitet, die sich auch auf den weltweiten Warenhandel durchschlägt. Davon ist vor allem Deutschland betroffen. Für den wichtigsten Handelspartner Österreichs ist im Jahr 2023 mit einer Rezession zu rechnen (‑0,6%), im kommenden Jahr wird sich die Wirtschaftsleistung Deutschlands leicht erholen (+1,2%). Die Konjunktur wird in Europa zusätzlich durch eine hohe Inflation sowie steigende Zinsen infolge der restriktiven Geldpolitik belastet. Gleichzeitig nahm die Nachfrage in China nach dem Auslaufen der Öffnungseffekte im Frühjahr 2023 deutlich ab. Die weltweite Industrieproduktion und der Warenhandel sinken aber auch vor allem in Folge des Abbaus von Vorsichtslagern, die in den Jahren davor aufgrund von drohenden Lieferknappheiten sowie Lieferausfällen bei Energie aufgebaut wurden. Dämpfende Effekte gehen aber auch von der Rückverschiebung der weltweiten Konsumstruktur von einem ‑ coronabedingt ‑ verstärkten Warenkonsum zum vermehrten Dienstleistungskonsum aus.  Die Wachstumsaussichten werden sich erst mit dem fortgeschrittenen Abbau der erhöhten Lagerbestände im nächsten Jahr wieder verbessern. Zudem deuten die meisten derzeit vorliegenden Prognosen einen weiteren Rückgang der Inflation für das Jahr 2024 an. Belastend für die Weltkonjunktur dürften im kommenden Jahr 2024 die weiterhin restriktive Geldpolitik sowie die schwache Wirtschaftsentwicklung in China wirken. In den USA blieb die Konjunktur bisher stabil und vor allem vom privaten Konsum gestützt. Für das Jahr 2024 wird aber auch in den USA eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums prognostiziert, vor allem weil die Impulse aus dem privaten Konsum abklingen.

Inflationsdifferenzial zum Ausland und Aufwertung des Euro verschlechtern die preisliche Wettbewerbsposition

Unter diesen internationalen Rahmenbedingungen werden die österreichischen Exportmärkte (das „österreichische Marktwachstum“) heuer vor allem aufgrund der schwachen Importnachfrage Deutschlands und der mittel- und osteuropäischen Länder mit 0,4% schrumpfen und dürften sich im Jahr 2024 mit +3,2% erholen (Abbildung 1.3). Zusätzlich sorgen der Inflationsabstand Österreichs zu wichtigen Handelspartnern sowie die Aufwertung des Euro im Prognosezeitraum für eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsposition (Abbildung 1.3). Vor allem im Jahr 2023 ist der Preisanstieg gemessen am Verbraucherpreisindex deutlich höher als bei Vergleichsländern des Euro-Raums (Abbildung 2.1). Dieses Inflationsdifferenzial dürfte 2024 schrumpfen, aber weiterhin bestehen bleiben. Diesem Bild entsprechend schätzen die heimischen Industrieunternehmen ihre Wettbewerbsposition im Vergleich zu Konkurrenten in der EU aber insbesondere im Vergleich zur Konkurrenz außerhalb der EU erneut deutlich schlechter ein (Abbildung 2.4). Historische Tiefststände erreichen die Einschätzungen zur Wettbewerbsposition vor allem bei Vorleistungsgüter- und Konsumgüterbranchen, während sie in der Investitionsgüterbranche verzögert und weniger stark einbrechen. Allerdings ist ein Effekt auf die Exporte und Marktanteile Österreichs in den Daten für das erste Halbjahr 2023 noch nicht ablesbar.

Trotz widriger Umstände robuste Entwicklung der Warenexporte und Marktanteilsgewinne im ersten Halbjahr 2023

Die österreichische Exportwirtschaft erwies sich im ersten Halbjahr 2023 angesichts der negativen Einflüsse als robust und konnte sogar Marktanteile in wichtigen Märkten gewinnen. Sie ist weniger vom Nachfrageeinbruch bei Vorprodukten im Zuge des Lagerabbaus betroffen und konnte in speziellen Nischen ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Die Entwicklung der österreichischen Produzentenpreise im Ausland legt auch eine relativ zu den Handelspartnern moderate Überwälzung der Kostensteigerungen im Inland auf die österreichischen Exportpreise nahe, vermutlich zulasten von Unternehmensgewinnen. Der Zuwachs der Exporte von Waren erreichte laut vorläufigen Daten der Außenhandelsstatistik im ersten Halbjahr 2023 6,1% zu laufenden Preisen (nominell) und 3,9% zu konstanten Preisen (real) (Abbildung 3). Als wichtigste Wachstumstreiber erwiesen sich dabei die Ausfuhren von Investitionsgütern (Maschinen und Fahrzeuge). Die (nominelle) Marktanteilsentwicklung in der ersten Jahreshälfte 2023 zeigt Zugewinne von 10,2% gegenüber dem Vorjahreszeitraum, vor allem dank kräftiger Ausfuhren von Maschinen nach Deutschland und in die USA. Gemessen an den Exporten des Euro‑Raums stiegen die Marktanteile Österreichs um 3,4%1).

Pessimistischer Ausblick für die zweite Jahreshälfte 2023, aber mäßige Erholung im kommenden Jahr

Allerdings vermitteln Unternehmenseinschätzungen im WIFO-Konjunkturtest einen pessimistischen Ausblick für die zweite Jahreshälfte 2023 (Abbildungen 4.1, 4.2). Die Beurteilung der Exportaufträge verschlechtert sich seit der Mai‑Umfrage. Die Exporterwartungen wurden in den Sommermonaten ebenfalls deutlich zurückgeschraubt und erholten sich auch in der letzten Umfrage im Oktober kaum. Dabei hat sich vor allem die Stimmung in den Investitionsgüterbranchen eingetrübt und damit gerade in jenen Bereichen der Exportwirtschaft, die das Exportwachstum bisher getragen haben. Damit sollte sich die Exportdynamik im zweiten Halbjahr 2023 einbremsen und die Exporterfolge aus dem ersten Halbjahr deutlich schmälern. Für das Gesamtjahr 2023 ist ein Wachstum der Warenexporte von rund 1,5% (real) zu erwarten (Abbildung 5.1). Angesichts der Annahme, dass sich die internationale Konjunktur 2024 bessert, kann mit einer Erholung im Verlauf des kommenden Jahres gerechnet werden. Die Warenexporte dürften 2024 um 2,5% (real) zulegen. Allerdings wird der nunmehr verzögert einsetzende Rückgang der Investitionsgüternachfrage bis in das Jahr 2024 hineinreichen und den auf Investitionsgüter spezialisierten österreichischen Exportunternehmen kaum Raum für weitere Marktanteilsgewinne geben.

Die Warenimporte spiegeln die Schwäche der heimischen Industrieproduktion und den Abbau der Vorsichtslager bei Energie und Industrierohstoffen, die im Vorjahr aufgebaut wurden. Zudem macht sich auch der Einbruch insbesondere im Konsum sogenannter dauerhafter Konsumgüter bemerkbar2). Auch dies ist zum Teil der Normalisierung der Konsumstruktur nach der COVID-19-Krise geschuldet. Für das Jahr 2023 wird mit einem Rückgang der Einfuhren um fast 2% (real) gerechnet, 2024 dürften sich die Importe mit einem Zuwachs von 2,3% (real) wieder erholen (Abbildung 5.1). Das Handelsbilanzdefizit im Warenaußenhandel wird sich aufgrund der schwachen Importentwicklung deutlich verbessern und sich im Jahr 2023 mit ‑10,3 Mrd. € auf die Hälfte des Vorjahreswertes reduzieren (Abbildung 5.2). Wesentlich für den Außenhandel ist aber auch die Verbesserung der Terms-of-Trade, das Verhältnis der Export- zu den Importpreise. Diese hatten sich 2022 im Zuge der Rohstoff- und Energieteuerungen – insbesondere aufgrund des höheren Energieanteils bei den Importen – drastisch verschlechtert und die österreichische Handelsbilanz stark belastet. Der Rückgang der Energiepreise (vor allem bei Erdgas) im heurigen Jahr löste jedoch eine Gegenbewegung aus. Der große Preisdruck aus dem Ausland über die Rohstoffpreise wird nach derzeitiger Prognose weiter nachlassen, auch der Anstieg der Produzentenpreise der im Ausland verkauften Waren Österreichs sowie wichtiger Handelspartner in der EU hat sich weiter abgeschwächt. 2023 und 2024 verbessern sich die Terms-of-Trade damit wieder (2023 um +1,5% und 2024 um +0,5%), aber weniger deutlich, als sie sich 2022 verschlechtert hatten (-5,0%) (Abbildung 5.3). Auch mittelfristig bleiben wichtige importierte Rohstoffe wie Erdgas und Rohöl teurer.

Die Prognose geht davon aus, dass es zu keiner weiteren Eskalation des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine kommt, genügend Erdgasvorräte über den Winter aufgebaut wurden und ein vollständiger Erdgaslieferstopp Russlands nach Europa weiterhin ausgeschlossen werden kann. Diesbezügliche Risiken bleiben aber bestehen und Verknappungen könnten neuerliche Preissteigerungen auslösen und die Inflation weiter befeuern. Zusätzliche Unsicherheit und geopolitisches Risiko verbirgt sich auch im kürzlich entbrannten Nahost-Konflikt zwischen Israel und der Hamas, sofern sich der Konflikt ausbreitet und weitergehende Spannungen im Nahen Osten die Produktion und den Transport von Öl gefährden. Wird all dies nicht schlagend, könnte sich umgekehrt auch ein schnellerer Rückgang der Inflation als in der Prognose unterstellt ergeben, der den Spielraum für Leitzinssenkungen eröffnet und positive Impulse für die Weltkonjunktur bringen würde.

Autorin:

Dr. Yvonne Wolfmayr ist Senior Economist der Forschungsgruppe „Industrie-, Innovations- und internationale Ökonomie“ des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO). Von 2013 bis 2016 war sie Stellvertretende Leiterin des WIFO. Das Studium der Volkswirtschaftslehre absolvierte sie an der Universität Wien und promovierte and der Universität Innsbruck. Auslandsaufenthalte an renommierten Universitäten in den USA (University of California, Los Angeles, und Stanford University) begleiteten ihre Laufbahn seither. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der empirischen Analyse internationaler Handelsfragen, einschließlich ausländischer Direktinvestitionen. Die Erstellung der Außenhandelsprognose zählt zu ihren regelmäßigen Aktivitäten am WIFO.


  1. Die Entwicklung nomineller Marktanteilen reflektiert auch Preis- und Wechselkursveränderungen. Wird der Marktanteil im Vergleich zu Ländern des gleichen Währungsraums berechnet, wird der Wechselkurseffekt in diesem Vergleich ausgeschaltet. ↩︎
  2. Zu den dauerhaften Konsumgütern zählen z. B. Möbel, Sportgeräte, Fahrräder, Kühlschränke oder Waschmaschinen. ↩︎

Volkswirtschaftliche Kosten der Russland-Sanktionen

Im Fokus dieses FIW-Spotlights steht die Wirkung von Sanktionen auf den Handel der Europäischen Union (EU) und Österreichs mit Russland. Die Verhängung von Sanktionen hat zu einem erheblichen Einbruch im Handel geführt, mit einem Rückgang der EU-Exporte nach Russland um 40% und der österreichischen Exporte um 19%. Bemerkenswert ist, dass Russland die wirtschaftlichen Kosten dieser Sanktionen trägt, wie durch einen signifikanten BIP-Verlust von dauerhaft 7,9% verdeutlicht wird. Diese Analyse zeigt die tiefgreifenden Auswirkungen von Sanktionen auf die internationalen Handelsbeziehungen sowie die wirtschaftlichen Einbußen des sanktionierten Landes, in diesem Fall Russland.

Der Überfall auf die Ukraine durch Russland im Februar 2022 hat weltweit zu einer Welle der Empörung geführt und eine komplexe Reaktion von Sanktionen und Gegensanktionen ausgelöst. Diese politischen Maßnahmen haben nicht nur direkte Auswirkungen auf die beteiligten Nationen, sondern senden auch Schockwellen durch die globale Wirtschaft, die weit über die unmittelbar betroffenen Länder hinausreichen. In einer Zeit, in der die Weltwirtschaft noch mit den Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie kämpft, ist das Verständnis der ökonomischen Kosten dieser Sanktionen von entscheidender Bedeutung.

Zu Beginn des Konflikts wurden zeitnah Studien veröffentlicht, die die wirtschaftlichen Kosten möglicher Sanktionen und Handelsstopps analysierten (Bachmann et al., 2022; Balma et al., 2022). Damals war es jedoch noch nicht möglich, den genauen Einfluss dieser Maßnahmen auf den Handel zu messen. Die Autor:innen konnten nur Annahmen zugrunde legen und Modelle erstellen. Siebzehn Monate später ist es nun möglich, die Veränderungen im Handelsvolumen zu messen und somit eine präzise Analyse der Kosten dieser Maßnahmen zu erstellen. Zunächst wirft der Autor einen Blick auf die Auswirkungen der Sanktionen auf den Handel, bevor in einem hypothetischen Szenario die makroökonomischen Folgen genauer untersucht werden.

Der Handel bricht ein

Die ergriffenen Sanktionen haben den Handel mit Russland erheblich beeinflusst. Die Exporte der EU nach Russland sind mit dem Inkrafttreten der ersten Sanktionspakete im Mai 2022 um über 60% eingebrochen. Anschließend haben sich die Exporte etwas erholt. Dennoch lagen sie im Januar 2023 noch immer 40% unterhalb des mehrjährigen Mittels. Diese aggregierten Zahlen auf EU-Ebene geben keinen Aufschluss über die Unterschiede in der Handelsdepression zwischen den Mitgliedsländern (siehe Grafik 1). Von den größten Mitgliedsländern gingen die Exporte von Frankreich und Deutschland nach Russland am stärksten zurück. Die deutschen Exporte lagen im Januar um 59%, die französischen um 48% unter dem langjährigen Durchschnitt.  Weniger stark betroffen ist der Handel Österreichs mit Russland. Österreichische Exporte sanken zunächst um 41% im Mai 2022. Anschließend erholten sie sich wieder und erreichten im Juli 2022 sogar ein Plus von 2%. Dennoch haben die Sanktionen auch für Österreich negative Auswirkungen auf den Handel. Im Januar 2023 lagen die Exporte noch 19% unterhalb des mehrjährigen Mittels. Die unterschiedlichen Handelseffekte zwischen den Mitgliedsländern zeigen, dass die Länder ganz verschiedene Güter mit Russland handeln. Dabei sind in jedem „Warenkorb“ unterschiedliche Anteile von sanktionierten Gütern und Dienstleistungen enthalten. So enthält der österreichische Export-Mix überdurchschnittlich viele nicht sanktionierte Warengruppen, wie z.B. Lebensmittel und pharmazeutische Produkte, wodurch der geringe Rückgang erklärt wird.

Um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen zu berechnen, müssen die verschiedenen „Warenkörbe“ der Länder im Handel mit Russland berücksichtigt werden. Dazu berechnet der Autor zunächst den Sanktionseffekt auf der Ebene verschiedener Produktgruppen mit der sogenannten „Gravitationsgleichung“ aus der internationalen Handelsliteratur (Head und Mayer, 2014). Anschließend verwendet der Autor diese Sanktionseffekte in einem Modell des internationalen Handels (Felbermayr et al., 2023). Hiermit kann der Autor das folgende „Was-wäre-wenn“-Szenario untersuchen: Wie würde die Welt aussehen, wenn es nur die Russlandsanktionen gibt, aber alle weiteren wirtschaftlichen Einflussfaktoren konstant gehalten werden? Da alle weiteren Einflussfaktoren ausgeschlossen werden – zum Beispiel andere Krisen oder politische Maßnahmen im letzten Jahr – kann der „pure“ Effekt der Sanktionen untersucht werden.

Russland ist der große Verlierer

Die Berechnungen zeigen, dass Russland eindeutig die Kosten der Sanktionen trägt (siehe Grafik 2). Das russische BIP sinkt durch die Sanktionen des Westens und russischer Gegensanktionen langfristig um 7,9%. Das heißt, allein die Sanktionen senken das Niveau der russischen Wirtschaft dauerhaft. Anders ausgedrückt: Ohne die Sanktionen wäre die russische Gesellschaft 7,9% „reicher“. Der Effekt bleibt auch dann bestehen, wenn die russische Wirtschaft in Zukunft wieder real wachsen sollte.

Im Gegensatz dazu fällt das BIP in der EU lediglich um 0,21%. Das entspricht einer Summe von 33 Mrd. Euro. Von den großen Mitgliedsländern ist Deutschland am stärksten betroffen. Das deutsche BIP sinkt um 0,26%. Das liegt vor allem an der Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland. In Österreich sinkt das BIP um 0,2% und ist damit leicht unterhalb des EU Durchschnitts.

Österreichische Exporte sinken um 1,7%. Am stärksten sind pharmazeutische Produkte (-9,5%) und der Sonstige Fahrzeugbau (-8,6%) betroffen. Maschinen und Geräte (-4%) und Elektronisches Equipment (-2,2%) sind weitere exportstarke Sektoren, die negativ betroffen sind (siehe Grafik 3). Einige Sektoren profitieren allerdings auch von den Sanktionen. Wenig überraschend steigen die Exporte von Petroleum (11,9%) deutlich an. Österreich kann hier einen Teil der weggebrochenen russischen Exporte übernehmen. Die Herstellung von Petroleum bezieht sich auf die Verarbeitung von Rohöl. Österreich produziert kein Öl, sondern verarbeitet mehr importiertes Öl als vor den Sanktionen, als auch Petroleum direkt aus Russland in die EU importiert wurde. Weitere Sektoren, die von den Sanktionen profitieren, sind die Herstellung und das Gießen von Metallen und der Bergbau von Metallerzen, deren Exporte jeweils um 1,6% steigen.

Die Analyse der Russland-Sanktionen unterstreicht die komplexen und weitreichenden Auswirkungen politischer Maßnahmen auf die globale Wirtschaft. Während die Sanktionen Russland erheblich treffen, mit einem langfristigen BIP-Verlust von 7,9%, sind die Auswirkungen auf die EU insgesamt geringer, aber dennoch spürbar. Die österreichische Wirtschaft kann einen Teil der sanktionierten Handelsflüsse des Westens mit Russland übernehmen. Es reicht allerdings nicht aus, um die volkswirtschaftlichen Kosten für Österreich auszugleichen.

Autor:

Hendrik Mahlkow ist seit 2023 als Ökonom in der Forschungsgruppe „Industrie-, Innovations- und internationale Ökonomie“ am WIFO tätig. Er ist ein quantitativ arbeitender Außenhandelsökonom, der vor allem an umweltökonomischen und geopolitischen Fragestellungen interessiert es. Mit Hilfe großer empirisch geeichter Simulationsmodellen berechnet er sogenannte kontrafaktische Szenarien: „Was-Wenn-Überlegungen“, die erlauben, geplante Politikmaßnahmen zu evaluieren, oder bereits umgesetzte Maßnahmen ex post zu überprüfen. Er promoviert an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in „Quantitative Economics“. Zuletzt verbrachte er ein Forschungssemester an der Universität von Kalifornien in Berkeley.

References:

  1. Bachmann, Ruediger, David Baqaee, Christian Bayer, Moritz Kuhn, Andreas Löschel, Benjamin Moll, Andreas Peichl, Karen Pittel, and Moritz Schularick, „What if? The economic effects for Germany of a stop of energy imports from Russia,“ Technical Report, ECONtribute Policy Brief 2022.
  2. Balma, Lacina, Tobias Heidland, Sebastian Jävervall, Hendrik Mahlkow, Adamon N Mukasa, and Andinet Woldemichael, „Long-run impacts of the conflict in Ukraine on food security in Africa,“ Technical Report, Kiel Policy Brief 2022.
  3. Felbermayr, Gabriel, Hendrik Mahlkow, and Alexander Sandkamp, „Cutting through the value chain: The long-run effects of decoupling the East from the West,“ Empirica, 2023, 50 (1), 75–108.
  4. Head, Keith and Thierry Mayer, „Gravity equations: Workhorse, toolkit, and cookbook,“ in „Handbook of international economics,“ Vol. 4, Elsevier, 2014, pp. 131–195.

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FIW-Spotlight: Die aktuellen handelspolitischen Beziehungen der EU mit der Kaukasusregion im Lichte des Ukrainekriegs

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch verstärkt die Kaukasusregion ins Licht der europäischen und österreichischen Öffentlichkeit gerückt.

Dieses Spotlight befasst sich mit den Handelsbeziehungen der Kaukasusregion mit der EU und Österreich, sowie deren wichtiger Bedeutung für die Region und trotz dieser unterschiedlichen Intensität deren politischen Beziehungen mit der EU. So ist Georgien im Rahmen eines vertieften und umfassenden Freihandelsabkommens (DCFTA) – genauso wie Moldawien und die Ukraine – das Land mit den umfangreichsten wirtschaftlichen Verflechtungen mit der EU, gefolgt von Armeniens umfassendem und erweitertem Partnerschaftsabkommen (CEPA), während Aserbaidschans Handelsbeziehungen mit der EU immer noch durch ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PCA) geregelt werden.

Die Region im Überblick

Die Kaukasusregion umfasst die drei Staaten Armenien, Aserbaidschan und Georgien. In Punkto Fläche und Bevölkerungszahl ist diese Region mit den sechs Westbalkanstaaten (WB6), Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien, vergleichbar. In den drei Kaukasusstaaten leben 16,6 Millionen Menschen auf einer Fläche von 186 Tausend km², während in den WB6 17,7 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 204,5 Tausend km² leben (WDI, Eurostat). Aserbaidschan ist etwas größer als Serbien, Armenien ist von der Größe her vergleichbar mit Albanien und Georgien ist etwas größer als Bosnien und Herzegowina und Montenegro. Was das Pro-Kopf-BIP (in KKP) anbelangt, so ist das georgische BIP mit dem Bosnien und Herzegowinas vergleichbar, das Armeniens mit dem Albaniens. Aserbaidschan hat das niedrigste Pro-Kopf-BIP der drei Kaukasusstaaten (Abbildung A).

Die innenpolitische Lage in den drei Ländern ist sehr heterogen. Aserbaidschan schneidet bei Korruption und Pressefreiheit mit Abstand am schlechtesten ab. So rangiert Aserbaidschan im Corruption Perception Index (CPI) auf Platz 157 und im Press Freedom Index der NGO Reporter ohne Grenzen auf Platz 151. Armenien liegt im CPI auf Platz 63 und Georgien auf Platz 41. Im Press Freedom Index liegt hingegen Armenien (Platz 49) vor Georgien (Platz 77). Um einen Vergleich zu den Staaten Mittel- und Südosteuropas zu ziehen, Montenegro rangiert im CPI auf Platz 65, während Rumänien bei der Pressefreiheit auf Platz 53 und Ungarn auf Platz 72 liegen.

Handelsbeziehungen

Der Anteil der Warenexporte am regionalen BIP lag 2022 bei 38 %, während die Importe 29 % ausmachten. Die Exporte der Region werden von Aserbaidschan dominiert, auf welches zuletzt (2022) 80 % entfielen, gefolgt von Georgien (11 %) und Armenien (9 %). Dies ist auf den fossilen Rohstoffreichtum Aserbaidschans und den daraus resultierenden Exporten zurückzuführen. Der Anteil der Importe ist ausgewogener; 41 % der Importe entfielen auf Aserbaidschan, 35 % auf Armenien und 24 % auf Georgien.

Die wichtigsten Handelspartner für die Region sind die EU, Russland und die Türkei (Abbildung B). Auf diese drei Partner entfielen im Jahr 2022, gemessen am Anteil am Gesamtvolumen, 74 % der Ex- und 54 % der Importe der Region. Die EU ist der führende Exportpartner. 57 % aller Ausfuhren gingen 2022 in die EU. Der deutliche Anstieg der Exporte in die EU in den Jahren 2021 und 2022, wurde von den hohen Energiepreisen und der Energielastigkeit der Exporte der Kaukasusregion in die EU getragen. Als Importpartner wurde die EU im letzten Jahr von Russland knapp, mit nur einem Prozentpunkt, überholt. Im Allgemeinen hat der Ukrainekrieg bisher nicht zu großen Verschiebungen im Handelsgefüge mit Drittstaaten geführt. Die Bedeutung der Region für die EU als Handelspartner ist, wenig überraschend, deutlich geringer. So entfielen im Jahr 2022 1,1 % aller EU-Einfuhren und 0,28 % aller EU-Ausfuhren, auf die Region, während auf die WB6 1,2 % der EU-Importe und 1,9 % der EU-Exporte entfielen.

Bei den Exporten in die EU dominieren eindeutig Öl und Gas, auf welches im Jahr 2022 94 % aller kaukasischen Exporte in die EU entfielen, was die übrigen Sektoren bei weitem in den Schatten stellt (Abbildung C). Die EU-Exporte in die Region sind hingegen, sowohl in Bezug auf die Sektoren als auch die drei Bestimmungsländer weit stärker diversifiziert. Die Sachgütererzeugung ist hierbei der wichtigste Sektor. Alleine 41 % der EU-Ausfuhren entfielen auf Maschinen und Fahrzeuge.

Handelsbeziehungen mit Österreich

Für Österreich ist der Anteil der Kaukasusstaaten an den österreichischen Ex- und Importen (ohne Intra-EU-Handel) im Vergleich zur EU noch geringer. So betrug der Anteil der Importe an den Nicht-EU-Importen 0,08 % und an den Exporten nur 0,003 %. Unabhängig davon, ist diese Region eine Schwerpunktregion der österreichischen Außenpolitik. Österreich hat für alle drei Länder eigene diplomatische Vertretungen, wenngleich Österreichs Botschafter für Armenien in Wien sitzt. Die Region ist auch eine Schwerpunktregion der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Zwei der acht Schwerpunktregionen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit liegen in der Kaukasusregion (Armenien und Georgien), in der auch die Austrian Development Agency (ADA) Büros unterhält.

Die wichtigsten österreichischen Importe aus den Kaukasusstaaten sind ebenso Brennstoffe und Energie, welche entsprechend von Aserbaidschan dominiert werden. Die wichtigsten österreichischen Exporte sind Sachgüter wie Maschinen und Fahrzeuge, bearbeitete Waren sowie Lebensmittel („Ernährung“). Österreich Handelsbilanz mit der Region ist positiv. Im Jahr 2022 wurden Waren im Wert von 62,6 Millionen Euro importiert und im Wert von 154,3 Millionen Euro exportiert.

Energieversorgung

Die Kaukasusregion ist für die EU eine wichtige Transitroute für Öl und Gas und ein bedeutender Lieferant fossiler Brennstoffe. Der Transport aserbaidschanischen Gases erfolgt über die Südkaukasus-Pipeline via Georgien in die Türkei, von wo es dann über die Transanatolische Pipeline (TANAP) auf die europäischen Märkte gelangt. Im Zuge der Versuche Russlands, Gaslieferungen als geopolitische Waffe zu instrumentalisieren, war seit dem Beginn des Ukrainekrieges, eine schnelle Diversifizierung der Gaslieferungen ein wichtiges Ziel der Europäischen Kommission.

Aserbaidschan war in Q1 2023 der neuntwichtigste Öllieferant (welches einfacher zu substituieren ist als Gas) der EU, aber der fünftwichtigste Gaslieferant in Q1 2023 (Abbildung E). Was Abbildung E ebenso verdeutlicht, ist die Diversifizierung weg von russischem Gas. So fiel der Anteil russischen Erdgases an den EU-Erdgasimporten von fast 39 % im Q1 2022 auf 17,4 % im Q1 2023. Als Teil dieser Diversifizierungsstrategie unterzeichnete die EU mit Aserbaidschan am 18. Juli 2022 eine neue Absichtserklärung bezüglich einer strategischen Partnerschaft im Energiebereich. Als Teil dieser Diversifizierungsstrategie unterzeichnete die EU mit Aserbaidschan am 18. Juli 2022 eine neue Absichtserklärung bezüglich einer strategischen Partnerschaft im Energiebereich.[1] Obwohl dies ein nachvollziehbarer Schritt ist, um die Gasversorgung der EU zu diversifizieren, hat die verstärkte Zusammenarbeit mit Aserbaidschan (ähnlich wie jene mit Katar) der Europäischen Kommission auch Kritik eingebracht, weil sie hier, trotz der düsteren Bilanz Aserbaidschans in Bezug auf Menschenrechte und Grundfreiheiten, Geopolitik über die Wahrung europäischer Werte stellt.[2]

Eine konfliktreiche Region

Die Bedeutung der Region für die EU und Österreich ist allgemein weniger wirtschaftlicher denn politischer Natur. Alle drei Länder sind in ungelösten Konflikten mit einem ihrer Nachbarn. Armenien und Aserbaidschan im Bergkarabachkonflikt und Georgien mit Russland bez. Abchasien und Südossetien, welche von Russland faktisch kontrolliert werden.

Der Bergkarabachkonflikt war der blutigste Konflikt, der unmittelbar nach dem Zerfall des Sowjetimperiums ausbrach und zu zwei großen Kriegen, in den Jahren 1992-1994 und 2020, führte. Im ersten Krieg hatten armenische Streitkräfte die überwiegend ethnisch armenische Region Bergkarabach und die umliegenden Gebiete, die völkerrechtlich als Teil Aserbaidschans anerkannt sind, erobert, während Aserbaidschan im zweiten Krieg 2020, die umliegenden Gebiete und etwa ein Drittel von Bergkarabach wieder zurückerobern konnte.

Eine indirekte Konsequenz des Ukrainekriegs ist die gestärkte Rolle der EU als Konfliktmoderatorin, welche letztes Jahr 2022 deutlich zunahm. Während die EU in Georgien mit ihrer EU-Beobachtungsmission (EUMM) schon länger präsent ist, allerdings nicht in Abchasien und Südossetien selbst, da Russland der EUMM hierzu keinen Zugang gewährt, war sie bis vor kurzem im Bergkarabachkonflikt gezwungen, nur Zuseherin zu sein. Die Rückeroberungen Aserbaidschans im Jahr 2020 und das erneute Aufflammen des Konflikts haben allerdings seitdem Armenien sowohl innen- als auch außenpolitisch zunehmend unter Druck gesetzt, auch aufgrund des Unwillens oder der Unfähigkeit Russlands, Armenien zu unterstützen. Dies hat die Rolle der EU als Mediatorin in diesem Konflikt gestärkt, was sich unter anderem in. der Einladung von Armenien Herbst 2022 eine zivile EU-Beobachtungsmission in Armenien (EUMA) einzurichten, sowie den ebenso seit Herbst 2022 in mehreren Runden stattgefundenen Friedensverhandlungen unter dem Vorsitz der EU, manifestiert hat.

Die unterschiedliche Tiefe der politischen Beziehungen zur EU spiegelt auch die unterschiedlichen Ambitionen dieser drei Staaten in Bezug auf eine weitere europäische Integration wider, wobei Georgien mit seinem Beitrittsgesuch eindeutig die Führungsrolle übernimmt. Georgien hat als Teil seines Assoziierungsabkommens ein vertieftes und umfassenden Freihandelsabkommen (DCFTA) unterzeichnet, welches seit 2016 in Kraft ist. Armenien hat sein ursprüngliches Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PCA) zu einem umfassenden und erweiterten Partnerschaftsabkommen (CEPA) aufgewertet, welches seit 2021 in Kraft ist, während die Handelsbeziehungen Aserbaidschans mit der EU immer noch durch ein PCA aus dem Jahre 1999 geregelt werden. Ein ähnliches Muster lässt sich auch bei der Mitgliedschaft in der Energy Community beobachten, einer internationalen Organisation mit Sitz in Wien, welche die Europäische Union und ihre Nachbarn zusammenbringt, um einen integrierten paneuropäischen Energiemarkt zu schaffen.[3] Während Georgien, wie die WB6-Staaten, Vertragspartei ist, hat Armenien Beobachterstatus und Aserbaidschan ist überhaupt nicht assoziiert. Der Krieg in der Ukraine hat allerdings die Dynamik seitdem völlig geändert. So wurden der Ukraine und der Republik Moldau der Beitrittskandidatenstatus zuerkannt, vor Ausbruch des Kriegs noch politisch undenkbar. Georgien hat ebenfalls einen Antrag gestellt hat, welcher Georgien jedoch erst nach dem Erzielen von Reformfortschritten unter Anderem in Bereichen wie Justiz, Korruptionsbekämpfung und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität verliehen werden soll. Die Zuerkennung des Kandidatenstatus ist jedenfalls in politischer Hinsicht bedeutsam, da die frühere wirtschaftliche und politische Integration der EU-Nachbarstaaten, außerhalb des Westbalkans, von einer Anwendung der Erweiterungsmethodologie ohne tatsächliche Aussicht auf einen EU-Beitritt gekennzeichnet war.

Conclusio

Die EU ist der mit Abstand wichtigste Handelspartner der Kaukasusregion, woran auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine nichts geändert hat. Während die Exporte in die EU von Energieträgern dominiert werden, handelt es sich bei den Importen insbesondere um Sachgüter. Österreichs Handel mit der Region zeigt ein vergleichbares Bild, mit den wesentlichen Unterschieden, dass die Handelsbilanz positiv und der Rohstoffanteil an den Importen geringer ist. Die Rolle der EU als wichtigster Handelspartner konnte sich nicht in vertieften politischen Beziehungen, wie die unterschiedlichen Handelsabkommen (EU-Georgien DCFTA, EU-Armenien CEPA und EU-Aserbaidschan PCA) oder der Mitgliedschaft in der Energy Community illustrieren, manifestieren. Erst Russlands Krieg gegen die Ukraine, hat zu einer stärkeren Rolle der EU in der Region geführt. Aus europäischer Sicht ist die Bedeutung der Region insbesondere geopolitischer Natur, aufgrund ihrer Lage in der südöstlichen Nachbarschaft der EU, als Tor nach Zentralasien und kurz- und mittelfristig als Lieferant und Transitroute für Energieträger.

[1] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_22_4550

[2] Caprile, A. & Przetacznik, J (2023) Armenia and Azerbaijan: Between war and peace. EPRS.

[3] Energy Community, Who we are, https://www.energy-community.org/aboutus/whoweare.html

Autor:

Bernhard Moshammer ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Sein Forschungsschwerpunkt ist Europäische Wirtschaftspolitik. Zuvor war er im österreichischen Bundeskanzleramt für EU-Angelegenheiten, uA. für den österreichischen EU-Ratsvorsitz tätig. Er hat ein Diplomstudium in Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien absolviert und einen M.A. in European Interdisciplinary Studies vom College of Europe, Natolin Campus in Warschau, Polen.

Die Graphiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und absolviert derzeit sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien.

FIW-Spotlight: Das riskante geldpolitische Experiment der Türkei

Die türkische Wirtschaft hatte in den letzten Jahren mit einer rasanten Abwertung der Lira und einem starken Anstieg der Inflation zu kämpfen. Dies mag zwar den Schwierigkeiten der Schwellenländer in den 1990er Jahren ähneln und spiegelt zum Teil auch den Inflationsdruck wider, unter dem ganz Europa derzeit leidet, doch die zugrundeliegenden Mechanismen sind andere und größtenteils selbstverschuldet. Die jüngste wirtschaftliche Situation in der Türkei, dem sechstgrößten Handelspartner der EU mit einem Anteil von 3,3%, führt uns die Folgen einer falschen Geldpolitik eindringlich vor Augen.

Die Europäische Union bleibt trotz eines rückläufigen Trends in den letzten Jahren der größte Export- und Importpartner der Türkei (Abbildung 1). Zwischen 2018 und 2022 sank der Anteil der türkischen Exporte in die EU von 43,1 % auf 40,5 %, während der Anteil der Importe von 33,3 % auf 25,6 % zurückging. Österreich hat einen geringeren Anteil am Gesamthandel der Türkei: Der Exportanteil der Türkei nach Österreich blieb in den letzten Jahren relativ stabil bei rund 0,7 %, der Importanteil sank jedoch von 0,7 % im Jahr 2018 auf 0,5 % im Jahr 2022. Aus europäischer Sicht ist die Türkei mit 3,3 % der sechstwichtigste Handelspartner der EU. Der Anteil der Türkei am österreichischen Handel beträgt rund 0,7 % (inkl. Intra-EU-Handel).

In den letzten zehn Jahren sah sich die Türkei mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, darunter instabile Wachstumsraten, eine erhebliche Währungsabwertung und ein Anstieg der Inflation (Abbildung 2). In den letzten Jahren haben sich diese Probleme verschlimmert, was zum Teil auf externe Faktoren wie die COVID-19-Pandemie und den Krieg in der Ukraine zurückzuführen ist. Dies führte zu einem sehr unausgewogenen Wachstumsmuster und einer erheblichen Anhäufung potenzieller Risiken innerhalb des Wirtschaftssystems. Die unkonventionelle türkische Geldpolitik, die durch niedrige Zinssätze und eine starke Abhängigkeit von Krediten gekennzeichnet ist, hat wesentlich zur Verschärfung dieser Probleme beigetragen. Da sich Präsident Erdogan nun eine weitere Amtszeit gesichert hat, sind die Sorgen über die Ausrichtung der Geldpolitik größer denn je und stellen die künftige Stabilität der türkischen Wirtschaft in Frage.

Dabei ist es jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass die wirtschaftliche Situation nicht immer so war. In den ersten zehn Jahren der Regierungszeit von Präsident Erdogan galten sowohl er als auch die AKP weithin als fähig, konservativ und umsichtig in ihrem wirtschaftspolitischen Ansatz. Doch ab Mitte der 2010er Jahre sah sich die Türkei mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Das politische Risiko nahm zu, etwa durch die Gezi-Park-Proteste im Jahr 2013 und dem Putschversuch im Jahr 2016. Zum Teil als Reaktion darauf begann die Regierung, die Kapazitäten und die Unabhängigkeit der staatlichen Institutionen zu untergraben. 

Um dem wirtschaftlichen Abschwung in diesem Zeitraum entgegenzuwirken, ergriff die Regierung Maßnahmen wie umfangreiche Infrastrukturinvestitionen und niedrige Zinssätze, um die Kreditaufnahme im Inland zu fördern (Abbildung 3). Es entstand der Eindruck, dass die Zentralbank gezwungen war, die Zinssätze niedrig zu halten. Diese Maßnahmen führten jedoch zu steigender Inlandsnachfrage und Importen und somit zu erheblichen Handelsbilanzdefiziten. Das wiederum bedingte eine höhere ausländische Verschuldung und führte zu einer raschen Abwertung der Lira und einem Vertrauensverlust in die Geldpolitik, der durch längere Phasen negativer realer Zinssätze und zunehmendem Inflationsdruck ausgelöst wurde.

Das geldpolitische Experiment der Türkei als Heilmittel gegen Wachstumsverlangsamung und steigende Inflation

Die Unabhängigkeit der Zentralbank in der Türkei wurde in den letzten Jahren immer weiter zurückgenommen. Das Vorgehen von Präsident Erdogan zeigt, dass er nicht zögert, Zentralbanker und Finanzminister zu entlassen, wenn sie nicht seinen Wünschen entsprechen. Seit 2020 wurden drei Beamte ohne eine klare Erklärung aus ihren Ämtern entlassen, was zu Spekulationen führte, dass ihre Weigerung, die Zinssätze weiter zu senken, der Hauptgrund für die Entlassung gewesen sein könnte.[1] Präsident Erdogan ist der Ansicht, dass höhere Zinssätze die Ursache für steigende Preise sind, nicht aber ein Mittel dagegen. Er argumentiert, dass niedrige Zinsen die Verbraucherausgaben, die Investitionen der Unternehmen und die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern werden. Er behauptet auch, dass eine schwächere türkische Lira gegenüber dem US-Dollar die Exporte erschwinglicher machen würde, was zu einer erhöhten Nachfrage seitens ausländischer Verbraucher führen würde.

An diesen Argumenten ist etwas Wahres dran. Die schwächere Lira scheint dem Exportwachstum in den letzten Jahren tatsächlich geholfen zu haben. Und die billigen Kredite haben sicherlich die Verbraucherausgaben gestützt. Doch diese Politik hat erhebliche Konsequenzen. Die Türkei ist in hohem Maße von Einfuhren wie Kraftstoff, Gas, Medikamenten, Düngemitteln und anderen Rohstoffen abhängig. Wenn der Wert der Lira sinkt, steigen die Kosten für den Kauf dieser importierten Waren. Darüber hinaus hat die unkonventionelle Geldpolitik von Präsident Erdogan bei ausländischen Investoren, die zuvor bereit waren, türkischen Unternehmen erhebliche Geldbeträge zu leihen, Bedenken geweckt. Darüber hinaus wird durch die Einführung des Lira-Sparplans „KKM“, einer staatlich unterstützten, währungsgesicherten Einlage, das Risiko von Wechselkursschwankungen auf den öffentlichen Sektor übertragen, was zu erheblichen Eventualverbindlichkeiten führt und ein Risiko für die inländische Finanzstabilität darstellt.

Anfang 2022, als die Zentralbanken in Europa und den Vereinigten Staaten begannen, ihre Geldpolitik zu straffen und die Zinssätze zu erhöhen, um die Inflation zu bekämpfen, begann die türkische Zentralbank, ihre Zinssätze zu senken. Diese unkonventionelle Strategie hat zu einer starken Abwertung der Lira und zu immer höheren Inflationsraten geführt, wobei die jährliche Inflationsrate im Oktober 2022 mit über 85 % ein 24-Jahreshoch erreichte. Viele Analysten glauben, dass die tatsächliche Inflationsrate auf der Straße noch höher ist, als die offiziellen Zahlen vermuten lassen.[2]

Um den Auswirkungen der steigenden Inflation zu begegnen, hat die türkische Regierung mehrere Maßnahmen ergriffen. Das sind vor allem die Anhebung des Mindestlohns und der Löhne im öffentlichen Dienst um 55 % bzw. 45 %. Neben der Einführung des KKM-Systems hat die Regierung auch strenge Vorschriften für Fremdwährungstransaktionen von Unternehmen durchgesetzt. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen scheint jedoch begrenzt zu sein. Im April 2023 lag die jährliche Inflationsrate der Türkei bei 43,7 %, was aufgrund von Basiseffekten einen Abwärtstrend darstellt, aber im Vergleich zu anderen Ländern immer noch sehr hoch ist.
Steigende Inflationsraten in der Türkei, zusammen mit einem Anstieg der Importpreise und Produktionskosten, stellen Haushalte und Unternehmen gleichermaßen vor große Schwierigkeiten. Haushalte mit niedrigem Einkommen können sich die Grundbedürfnisse kaum noch leisten, da die Preise in die Höhe schießen, während es für Unternehmen aufgrund unvorhersehbarer Erträge und steigender Kosten schwierig ist, zu planen und in neue Projekte zu investieren. In der Türkei wird die Inflation, wie in jedem anderen Land auch, von Faktoren beeinflusst, die sowohl mit der Nachfrage als auch mit den Kosten zusammenhängen. Daher würde eine Anhebung der Zinssätze allein das Problem nicht lösen, da auch Kostenfaktoren wie die höheren Energiepreise zu berücksichtigen sind. Dennoch ist klar, dass solange die Realzinsen tief im negativen Bereich liegen, die Lira abwerten, die importierte Inflation ansteigen und die Wirtschaft leiden wird.

Wie sieht die Zukunft aus?

Da sich Präsident Erdogan nun eine weitere Amtszeit gesichert hat, ist eine unmittelbare Änderung der Geldpolitik nach den Wahlen unwahrscheinlich. In Anbetracht der Tatsache, dass Präsident Erdogan in der Vergangenheit immer wieder seine Politik geändert hat, und angesichts des Drucks, den die schwächelnde Lira und die hohe Inflation auf die Wirtschaft ausüben, ist ein Kurswechsel zumindest jedoch möglich. Sollte die Zentralbank die Zinssätze anheben, wäre dies nicht das erste Mal, dass sie ihren Kurs abrupt ändert, da ähnliches 2018 und 2020 geschah. Der Zeitpunkt einer etwaigen Kehrtwende wird von den wirtschaftlichen Folgen der derzeitigen Politik abhängen. Wenn die Lira weiter fällt, werden die Eventualverbindlichkeiten des Staates im Zusammenhang mit dem KKM und anderen potenziellen Risiken eskalieren. Daher scheint es plausibel anzunehmen, dass Anpassungen vorgenommen werden können.

Eine genaue Bewertung der Nachfrage- und Kostenfaktoren ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung für die wirksame Steuerung der Inflation und den Einsatz der Zinspolitik in der Türkei. Eine Änderung des geldpolitischen Kurses hin zu einer eher orthodoxen Politik, die auf geringe positive Realzinsen abzielt, würde zwar nicht alle wirtschaftlichen Probleme der Türkei lösen, aber sicherlich die makroökonomische Stabilität verbessern und die Grundlage für eine stabilere Wachstumsrate schaffen. Aber trotzdem hat sich die Wirtschaft als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen. Wenn weiterhin ausländische Gelder zur Deckung des hohen Leistungsbilanzdefizits fließen, ist es wahrscheinlich, dass das Jahr 2023 mit einer Wachstumsrate von etwa 2,6 % und einer Inflationsrate zwischen 40 und 50 % endet, was den Druck auf den Wechselkurs im Laufe des Jahres allmählich verringern wird.

[1] Siehe Reuters (2021), Factbox: Revolving door: Turkey’s last four central bank chiefs, available at https://www.reuters.com/world/middle-east/revolving-door-turkeys-last-four-central-bank-chiefs-2021-10-08/ und CNBC (2021), Turkey’s Erdogan names Nebati as new finance minister as lira skids, verfügbar unter https://www.cnbc.com/2021/12/02/turkeys-erdogan-names-nebati-as-new-finance-minister-as-lira-skids.html.
[2] Siehe DW (2022), Inflation in Turkey: Researcher won’t hide the figures Erdogan doesn’t want to see, available at https://www.france24.com/en/asia-pacific/20220622-inflation-in-turkey-researcher-won-t-hide-the-figures-erdogan-doesn-t-want-to-see, und Euronews (2022), Soaring inflation and a collapsing currency: Why is Turkey’s economy in such a mess?, verfügbar unter https://www.euronews.com/2022/11/09/everything-is-overheating-why-is-turkeys-economy-in-such-a-mess.

Autor:innen:

Meryem Gökten ist Ökonomin am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und Länderexpertin für die Türkei. Ihre Forschungsschwerpunkte sind makroökonomische Analysen, Fiskal- und Geldpolitik. Zuvor arbeitete sie Ökonomin in der Abteilung Finanzmärkte und Institutionen am Centre for European Policy Studies (CEPS) und als Beraterin in der Abteilung Länder- und Finanzsektoranalyse der Europäischen Investitionsbank (EIB). Meryem Gökten hat einen Master-Abschluss in Volkswirtschaft der Universität Freiburg und einen Bachelor-Abschluss der Universität Heidelberg.

Richard Grieveson ist stellvertretender Direktor am wiiw und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Diplomatischen Akademie Wien. Er ist auf die Volkswirtschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas spezialisiert, mit besonderem Schwerpunkt auf der Türkei und dem Westbalkan. Zuvor arbeitete er als Direktor im Emerging Europe Sovereigns Team bei Fitch Ratings und als Regional Manager im Europa-Team der Economist Intelligence Unit.Er verfügt über Abschlüsse der Universitäten Cambridge, Wien und Birkbeck.

Die Graphiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und absolviert derzeit sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien.

Rohstoffpreise im Spannungsfeld zwischen geldpolitischer Straffung und dem Ukraine-Krieg

Die globale Inflationsdynamik in den letzten Jahren spiegelt zum großen Teil die großen Schwankungen der Rohstoffpreise wider. Diese Schwankungen wurden im Wesentlichen durch die zwei aufeinanderfolgenden Schocks ausgelöst: die COVID-19-Pandemie und den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Während die Pandemie zunächst einen Rückgang der Rohstoffpreise bewirkte, sorgten das Ende der Pandemie und der Krieg zunächst für einen rasanten Anstieg. Trotz der Stabilisierung in den letzten Monaten liegen sie zum Teil nach wie vor deutlich über dem langjährigen Durchschnitt.

Die Verhängung strikter Mobilitätsbeschränkungen im Zuge der COVID-19-Pandemie hatte zunächst einen deutlichen Rückgang der Rohstoffpreise zur Folge. In den ersten drei Monaten von 2020 sind beispielsweise die Preise für Metalle und Mineralien um 16% und diejenigen für Energie gar um das nahezu Dreifache gesunken, während die Preise für Nahrungsmittel weitgehend konstant blieben (Abbildung 1). Der rasante Einbruch vor allem der Erdölpreise war auch dadurch bedingt, dass sich die führenden Produzenten Saudi-Arabien und Russland zunächst nicht auf eine Kürzung der Lieferungen einigen konnten. Nach dem erreichten Tiefstand im April 2020 haben sich die Rohstoffpreise im Zuge der allmählichen Lockerung von COVID-19-Maßnahmen und der globalen Konjunkturbelebung wieder erholt.

Russland und die Ukraine wichtig für globale Energie- und Agrarmärkte

Der im Februar 2022 begonnene Krieg Russlands gegen die Ukraine hat den globalen Rohstoffpreisen einen weiteren Schub gegeben. Die westlichen Sanktionen gegen die führenden russischen Ölunternehmen und die Ankündigung eines für Dezember 2022 angepeilten EU-Importembargos für russisches Öl hatten zunächst einen deutlichen Anstieg der Ölpreise zur Folge. Gegen Mitte Juni 2022 kletterte etwa der Preis von Brent auf 122 $ pro Fass und lag damit um 54% höher als am Anfang des Jahres. Außerdem trieb die Kürzung von Gaslieferungen durch Russland die europäischen Gaspreise in die Höhe. Im Jahresdurchschnitt von 2022 sanken die Pipeline-Gasimporte in die EU aus Russland um 55% und betrugen gegen Jahresende nur noch ein Fünftel des Vorjahresniveaus (McWilliams, Sgaravatti und Zachmann, 2021).[1] Der Großhandelspreis für Gas in der EU erreichte Ende August 2022 mit über 300 € pro MWh seinen historischen Höchststand und war im Durchschnitt des dritten Quartals 2022 fast 3,5 mal so hoch wie vor einem Jahr (European Commission, 2023).

Auch die Preise für mehrere wichtige Agrarwaren, wie Weizen, Mais und Zucker, zogen zunächst deutlich an. Der Börsenpreis von Weizen in den USA stieg beispielsweise zwischen Anfang Jänner 2022 und Mitte Mai 2022 um 57% (auf US-Dollar-Basis). Russland und die Ukraine waren historisch gesehen wichtige Getreideproduzenten und etwa für ein Drittel der globalen Getreideexporte vor dem Krieg verantwortlich. Die landwirtschaftliche Produktion in den vom Krieg schwer betroffenen ukrainischen Gebieten hat aber stark gelitten. Zusätzlich fielen die meisten Meereshäfen des Landes, über die ein Großteil der Agrarexporte abgewickelt wurde, für mehrere Monate nahezu aus.

Ausblick mit vielen Risiken behaftet

Mittlerweile haben sich die Rohstoffpreise wieder stabilisiert bzw. sind sogar zurückgegangen(Abbildung 1). Einerseits war dafür die Abkühlung der globalen Konjunktur im Zuge der geldpolitischen Straffung ausschlaggebend, was vor allem die Entwicklung der Preise für Metalle und Mineralien beeinträchtigte. Andererseits haben dazu auch die neu verhängten Sanktionen gegen russisches Erdöl – das weitgehende Importembargo in die EU und die Einführung von Preisobergrenzen für Lieferungen in Drittländer (seit Dezember 2022 für Rohöl und seit Februar 2023 für Ölprodukte) – beigetragen. Die Erdgaspreise in Europa waren seit August 2022 ebenfalls rückläufig, was den gut gefüllten Speichern, stark gestiegenen Importen von Flüssiggas (vor allem aus den USA) sowie den relativ milden Witterungsbedingungen zu verdanken war. Insgesamt sind dadurch die globalen Energiepreise seit August 2022 um 36% zurückgegangen. Die Lebensmittelpreise waren bereits seit Mai 2022 im Sinkflug, zum Teil aufgrund der guten Ernte in vielen Teilen der Welt. Auch das Ende Juli 2022 beschlossene Schwarzmeergetreideabkommen, das es ermöglichte, einen Großteil der Getreideexporte aus der Ukraine wieder auf den Weltmarkt zu bringen, hat eine positive Rolle gespielt (UNCTAD, 2023).

Der Ausblick in puncto weitere Rohstoffpreisentwicklung ist jedoch mit vielen Risiken behaftet. Die jüngste Abkehr von der Null-COVID-Politik wird für eine höhere Nachfrage nach Rohstoffen sorgen. Die Preise für Metalle und Mineralien haben bereits darauf reagiert und sind seit dem Tiefstand im Oktober 2022 um 17% gestiegen. Auch die Ausfälle bei der Stahlproduktion in der Türkei infolge des Erdbebens trugen zum Preisanstieg bei. Der weitere Verlauf des Ukraine-Krieges und des geopolitischen Konflikts zwischen dem Westen und Russland (und auch China) bleibt ein wichtiger Risikofaktor, der sowohl die Zukunft des Schwarzmeergetreideabkommens als auch die weiteren Gaslieferungen aus Russland in die EU infrage stellen kann. Sollte es aufgrund der sehr niedrigen Importe aus Russland nicht gelingen, die europäischen Gasspeicher rechtzeitig vor dem Winter 2023/24 zu füllen, ist eine Wiederholung der Energiekrise nicht auszuschließen, was einen erneuten Anstieg der Energiepreise mit sich bringen könnte.

Referenzen

European Commission (2023), Quarterly report on European gas markets, Vol. 15, Issue 3, DG Energy, https://energy.ec.europa.eu/data-and-analysis/market-analysis_en#gas-market—recent-developments

McWilliams, B., G. Sgaravatti, G. Zachmann (2021), European natural gas imports, Bruegel Datasets, first published 29 October, https://www.bruegel.org/dataset/european-natural-gas-imports

UNCTAD (2023), A trade hope: the impact of the Black Sea Grain Initiative. March, https://unctad.org/system/files/official-document/osginf2023d3_en.pdf

Autor: Vasily Astrov (wiiw)

Vasily Astrov ist Ökonom am wiiw und Länderexperte für Russland und andere GUS-Länder. Seine Forschungsschwerpunkte sind makroökonomische Analysen und Energiefragen. Er ist außerdem Herausgeber des wiiw-Monatsberichts. Er sammelte umfassende akademische und internationale Erfahrungen im Vereinigten Königreich (University of Warwick), Deutschland (Westfälische Wilhelms Universität), Norwegen (Universität Oslo) und Russland (Universität St. Petersburg) und absolvierte ein Studium der Wirtschaftswissenschaften (M.Sc., Dipl.-Volksw.) und Geographie (B.A.).

Die Graphiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und absolviert derzeit sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien.


[1] Nach den mysteriösen Explosionen bei Nord Stream 1 (und Nord Stream 2) Ende September 2022 wurden die Lieferungen über diese Route komplett eingestellt.

Frauen in der österreichischen Außenwirtschaft

Frauen in exportorientierten Unternehmen

Trotz der verfassungsmäßigen Absicherung der Gleichstellung von Frauen und Männern und des Konsensus, diese zu erreichen, bestehen in Österreich nach wie vor große Unterschiede in soziökonomischen Merkmalen. Diese betreffen etwa die Erwerbsbeteiligung als auch die Höhe von Löhnen und Gehälter (Böheim, Fink & Zulehner, 2023). Diese Unterschiede können zum Teil durch Faktoren wie die ungleiche Verteilung von Familienarbeit zwischen den Geschlechtern erklärt werden. Dennoch bleibt eine Restgröße, die auf ein gewisse „Diskriminierung“ von Frauen im Erwerbsleben und am Arbeitsmarkt hinweist.

Da Frauen auf dem Arbeitsmarkt häufig weniger flexibel sind, kann die Globalisierung das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern noch verschärfen. Internationalisierte Unternehmen könnten die Flexibilität der Arbeitskräfte höher wertschätzen als nur im Inland tätige Unternehmen, was für Frauen aufgrund von Care-Arbeit oftmals ein Nachteil ist. In der Literatur wird auf den stärkeren internationalen Wettbewerb verwiesen, weshalb Exporteure von ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oftmals ein größeres Maß an Engagement und mehr Flexibilität verlangen (Kvande, 2009, Bøler, Javorcik & Ulltveit-Moe, 2018).

Die Internationalisierung kann jedoch auch ein Faktor für die Verringerung des Lohngefälles zwischen Männern und Frauen sein. Eine stärkere Beteiligung am internationalen Handel schafft Wachstumspotentiale, die eine höhere Nachfrage – auch nach Frauen am Arbeitsmarkt – generieren. Dies könnte zu einer stärkeren Erwerbsbeteiligung von Frauen führen (Oostendorp, 2009). Dieses Spotlight gibt einen ersten Eindruck über die Arbeitsmarktpartizipation von Frauen in international tätigen österreichischen Unternehmen auf Basis von erstmalig für die wissenschaftliche Forschung verfügbaren Registerdaten der amtlichen Statistik von 2013-2019.

Höhere Flexibilitätsanforderungen bei mehr Flexibilität…

Der Frauenanteil in österreichischen Unternehmen ist im Dienstleistungsbereich deutlich höher als in der Industrie oder im Baugewerbe. Dies gilt sowohl für exportierende als auch für nur im Inland tätige Unternehmen. Unter Berücksichtigung von Branchen-, Größen- und Produktivitätsunterschieden zwischen Unternehmen zeigt sich, dass exportierende Unternehmen im Durchschnitt einen rund 3.5 Prozentpunkte höheren Frauenanteil aufweisen als vergleichbare Unternehmen, die nur am heimischen Markt aktiv sind. Zu ähnlichen Ergebnisse kommt auch eine kürzlich veröffentlichte Studie der OECD (2023) für ausländische Direktinvestitionen in Österreich. Österreichische Exportunternehmen mit Handelspartnern in weit entfernten Ländern weisen einen um etwas 6-8% höheren Frauenanteil auf (siehe Abbildung 1). Es bestehen aufgrund von Zeitzonendifferenzen höhere Flexibilitätsanforderungen, um die Erreichbarkeit per Telefon und E-Mail sowie technische Unterstützung und Zusammenarbeit zu gewährleisten.

Abbildung 1: Frauenanteil in exportierenden Unternehmen (in %)

Anmerkung: Durchschnittlicher Frauenanteil nach Unternehmenstyp, 2013-2019.  „+/- 4h Exporter“ umfassen alle Unternehmen, mit überwiegenden Exportdestinationen mit einer Zeitzonendifferenz von mindestens 4 Stunden. Ausreißer ausgeschlossen.
Quelle: Austrian Micro Data Center, Statistik Austria, 2013-2019. WIFO Darstellung.

Abbildung 2: Anteil an Teilzeitbeschäftigen (in %)

Anmerkung: Durchschnittliche Teilzeitbeschäftigungsquote nach Unternehmenstyp, 2013-2019. „+/- 4h Exporter“ umfassen alle Unternehmen, mit überwiegenden Exportdestinationen mit einer Zeitzonendifferenz von mindestens 4 Stunden. Ausreißer ausgeschlossen.
Quelle: Austrian Micro Data Center, Statistik Austria, 2013-2019. WIFO Darstellung.

Bei der Teilzeitbeschäftigung zeigt sich, dass mit ansteigenden Flexibilitätsanforderungen von den Beschäftigten die Teilzeitquote sinkt. Die gilt insbesondere für Frauen (siehe Abbildung 2). Bei Zeitzonenunterschieden von mehr als 4 Stunden ist es bei einer durchschnittlicher täglicher Teilzeitarbeitszeit von 4 Stunden schwierig, überschneidende Arbeitszeiten mit entfernten Geschäftspartnern zu finden. Daraus ergibt sich, dass in international aktiven Unternehmen mehr Frauen in Vollzeit beschäftigt sind. Dies gilt auch für Mütter mit Kindern im Vorschulalter. So können Frauen ihre Qualifikationen und Kompetenzen besser einbringen und Berufserfahrungen aufbauen.

Demgegenüber steigt die Teilzeitquote der Männer in exportorientierenden Unternehmen – wenn auch auf sehr niedrigem Niveau. Dies deutet darauf hin, dass Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, zwar höhere Flexibilitätsanforderungen haben, gleichzeitig aber auch mehr Flexibilität ermöglichen, etwa bei den Arbeitsbedingungen, der Arbeitszeitgestaltung oder der individuellen Arbeitsorganisation

  

… und höheren Löhnen für Frauen in Österreich

Abbildung 3: Vollzeitlöhne für Frauen in Österreich

Anmerkung: Durchschnittliche unbereinigte Vollzeitlöhne von 2013-2019 nach Unternehmenstypen.Ausreißer ausgeschlossen.
Quelle: Austrian Micro Data Center, Statistik Austria, 2013-2019. WIFO Darstellung.

Auch beim Einkommen profitieren Frauen von höheren Vollzeitlöhnen und -gehältern in exportorientierten Unternehmen. Als Vergleich werden Unternehmen herangezogen, die ausschließlich am heimischen Markt aktiv sind (siehe Abbildung 3). Allerdings ist der Lohnaufschlag in exportierenden Unternehmen höher für Männer als für Frauen, wodurch sich der geschlechtsspezifische, unbereinigte Lohnunterschied vergrößert. Im Durchschnitt verdienten Frauen über den Zeithorizont von 2013-2019 rund 21 Prozent weniger als Männer in exportierenden Unternehmen, während Frauen in nur am inländischen Markt aktiven Unternehmen „nur“ 18 Prozent weniger als Männer verdienten. 

Somit zeigt sich für die österreichischen Exporteure, dass sie – trotz hoher Flexibilitätsanforderungen an ihre Beschäftigten – ihrerseits den Beschäftigten ebenfalls mehr Flexibilität zugestehen. Die höheren zeitlichen Flexibilitätsanforderungen der exportierenden Unternehmen gehen auch mit höheren Löhnen und Gehältern einher. Allerdings werden Männer davon stärker begünstigt.

Detaillierte Zusammenhänge zwischen der Beschäftigung von Frauen und geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden werden im Rahmen des FIW-Projekts „Frauen in der österreichischen Außenwirtschaft“ von Birgit Meyer, Klaus Friesenbichler und Harald Oberhofer auf Basis von Mikrodaten des Austria Mirco Data Center der Statistik Austria analysiert. Die Ergebnisse werden voraussichtlich Mitte 2023 als FIW-Studie publiziert

Referenzen:

Bøler, E. A.,  B. Javorcik, und K. H. Ulltveit-Moe (2018). Working across Time Zones: Exporters and the Gender Wage Gap. Journal of International Economics 111 (1. März 2018): 122–33.

Böheim, R, M. Fink, und C. Zulehner (2023). Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in Österreich von 2005 bis 2021. WIFO Research Briefs 4/2023.

Kvande, E. (2009). Work-life balance for fathers in globalized knowledge work. Some insights from the Norwegian context. Gender, Work & Organization, 16(1), 58-72.

Oostendorp, R. H. (2009). Globalization and the Gender Wage Gap. The World Bank Economic Review, 23(1), 141-161.

OECD (2023). FDI Qualities Review of Austria: Closing Gender Gaps and Empowering Women. OECD Publishing Paris.

Autor:in: Birgit Meyer (WIFO)

ist Ökonomin und in der Forschungsgruppe „Industrieökonomie, Innovation und internationaler Wettbewerb“ tätig. Zudem ist sie Lektorin am Institut für Internationale Wirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und External Research Fellow am Kieler Zentrum für Globalisierung (KCG). Sie hat einen Abschluss in Volkswirtschaft von der Universität Bonn und promovierte 2016 an der Universität Kiel. Für ihre Dissertation erhielt sie 2017 den Fakultätspreis für herausragende Promotionen der Universität Kiel. Während ihrer Promotion war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kiel Institut für Weltwirtschaft und der Universität Kiel. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt in der Analyse der Effekte der Globalisierung auf Innovation, Investitionen und Entwicklung. Hier fokussiert sie sich insbesondere auf die Analyse der Effekte von Auslandsdirektinvestitionen, multinationaler Unternehmen und internationalem Handel auf Unternehmens- und Branchenebene. Dazu hat sie mehrere Projekte durchgeführt, u. a. für Einrichtungen wie der Weltbank oder UNIDO. Eine Vielzahl ihrer Arbeiten wurden in akademischen Journals veröffentlicht, darunter The World Economy, World Development und Review of World Economics. Sie hält Vorträge auf zahlreichen Konferenzen und Workshops. Bei der Jahrestagung der Nationalökonomischen Gesellschaft (NOeG) 2019 erhielt sie den Young Economist Award für ihre Forschungsarbeit.

Veröffentlicht am 17.3.2023.