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Near-Shoring am Westbalkan: ein Update

In den westlichen Balkanländern gewinnt Near-Shoring an Bedeutung, vor allem auf Grund geopolitischer Veränderungen und dem behördlichen Druck zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen. Aufgrund der hohen Kosten ist es nach wie vor unwahrscheinlich, dass westeuropäische Unternehmen Fabriken von Asien nach Osteuropa verlagern. Allerdings entscheiden sich westliche Unternehmen zunehmend dafür, Neuinvestitionen nach Osteuropa anstatt nach Asien fließen zu lassen. Interessanterweise investieren auch asiatische Unternehmen in Osteuropa, um sich näher am EU-Markt zu positionieren. Der jüngste politische Rechtsruck in verschiedenen Ländern der Welt wird diese Trends wahrscheinlich auf komplexe Weise beeinflussen; die größte Herausforderung für die westlichen Balkanländer besteht aber darin, das wachsende Risiko eines Fachkräftemangels zu bewältigen.

Einleitung

Das Konzept des „Near-Shoring“ erlangte erstmals im Zuge der Diskussionen zur „Slowbalisation“ nach der globalen Finanzkrise 2007-2008 Aufmerksamkeit (Bakas 2015; The Economist 2019). An zusätzlicher Bedeutung gewann es infolge der Versorgungsengpässe, die durch die COVID-19-Pandemie verursacht wurden (McKinsey & Co. 2020), sowie zuletzt durch den Krieg in der Ukraine (Agnew 2022).

2021 publizierten wir eine Studie, in der wir untersuchten, ob die Volkswirtschaften am Westbalkan infolge der Pandemie von Near-Shoring-Trends profitieren könnten (Jovanović et al. 2021). Unsere Untersuchungen ergaben, dass dies tatsächlich der Fall ist, wenn die westlichen Balkanländer in der Lage sind, qualifiziertere Arbeitskräfte, eine verbesserte Infrastruktur und eine gestärkte Governance zu bieten.

Vor kurzem haben wir eine Folgestudie durchgeführt, die diese Fragefragestellungen erneut aufgreift und erweitert (Jovanović et al. 2024). Die neue Studie erörtert, ob es auf dem Westbalkan tatsächlich zu Near-Shoring gekommen ist, bringt Beispiele für Unternehmen, die Betriebsstätten in die Region verlagert haben, untersucht diese Fälle im Detail und erforscht die Faktoren, die bei Entscheidungen für Near-Shoring eine Rolle spielen.

FDI-Trends am Westbalkan

Unsere Analyse beginnt mit einer quantitativen Untersuchung von jüngsten Trends, was ausländische Direktinvestitionen (FDI) in sechs verschiedenen Westbalkanländern betrifft. Ziel ist es, herauszufinden, ob makroökonomische Daten auf eine Zunahme von FDI infolge der Pandemie hindeuten.

Unser Ansatz ist einfach: Wir analysierten die FDI-Trends vor der Pandemie, extrapolierten diese, um die erwartbaren Investitionszuflüsse nach der Pandemie zu simulieren, und verglichen dann die extrapolierten Werte mit den tatsächlichen Daten. Wenn die tatsächlichen FDI-Zuflüsse unter den simulierten Niveaus lägen, wäre das als Hinweis für Near-Shoring zu werten. Diese Interpretation beruht auf der Annahme, dass die Trends vor der Pandemie das Investmentniveau in einem „Business as usual“-Szenario widerspiegeln. Wenn die FDI-Kapitalzuflüsse über den extrapolierten Werten lägen, wäre davon auszugehen, dass neue Faktoren zunehmendes Investment bewirkt hätten, was wiederum auf Near-Shoring zurückzuführen wäre.

Zur Durchführung der Analyse setzten wir zwei komplementäre Simulationsmethoden ein. Die erste Methode wendet einen simplen logarithmischen Trend auf die gesamten FDI-Zuflüsse für jede Volkswirtschaft an. Die zweite Methode nutzt wirtschaftliche Modelle, um makroökonomische Faktoren, die FDI-Zuflüsse beeinflussen, zu analysieren – konkret vier verschiedene Modelle, die auf verschiedenen Kombinationen der folgenden unabhängigen Variablen basieren: Kreditwürdigkeit des Staates, Rechtsstaatlichkeit, nominales BIP und Einnahmen des Staates. Die Analyse wurde für jedes der westlichen Balkanländer separat durchgeführt, wobei die Phase vor der Pandemie mit dem Zeitraum von 2012-2019 gleichgesetzt wurde, und die Phase nach der Pandemie mit dem Zeitraum von 2020-2023.

Abbildung 1 zeigt die simulierten und tatsächlichen FDI-Zuflüsse. Die simulierten Werte werden in oranger Farbe dargestellt (die Bandbreite reicht von den niedrigsten bis zu den höchsten Schätzungen), während die tatsächlichen FDI-Zuflüsse mit einer dunkelgrauen Linie eingezeichnet sind. Die Phase nach der Pandemie wurde zur Veranschaulichung mit einem hellgrauen Hintergrund markiert.

Die Daten zeigen gegensätzliche Trends innerhalb der Region. In Albanien und Serbien fielen die FDI-Zuflüsse von 2020 bis 2023 durchgehend unter die simulierten Werte, womit keine Hinweise für Near-Shoring vorliegen. Im Gegensatz dazu zeigen die Daten für Bosnien und Herzegowina, den Kosovo und Nordmazedonien FDI-Zuflüsse, die über der simulierten Werten für die letzten 2-4 Jahre liegen, was wir als Hinweis für Near-Shoring in der Phase nach der Pandemie interpretieren. Montenegro ist ein Grenzfall. Obwohl die FDI-Zuflüsse die simulierten Niveaus für 2020 bis 2022 übertrafen, lagen sie im Jahr 2023 darunter. Somit ist es schwer zu beurteilen, ob die Werte als Hinweis auf Near-Shoring gewertet werden können oder einfach nur typische zyklische FDI-Fluktuationen widerspiegeln.

Einblicke aus Fallstudien und Interviews mit Unternehmensvertreter:innen

Wir ermittelten Beispiele für Nearshoring in den westlichen Balkanländern, wobei solche Fälle in allen Volkswirtschaften außer Montenegro zu finden sind. Interessanterweise stammen viele der Investitionen von asiatischen Unternehmen, die sich strategisch in der Region positionieren, um sich EU-Handelspartnern anzunähern und Exporte in den europäischen Markt einfacher zu gestalten. Westeuropäische Unternehmen, die Betriebsstätten auf den Westbalkan verlagerten, bevorzugten Near-Shoring in Osteuropa gegenüber Investitionen in Asien – auf Grund der niedrigen Produktionskosten und der Nähe zur EU. Es konnten keine Hinweise darauf gefunden werden, dass Unternehmen Betriebsstätten in Asien zusperrten und auf den Westbalkan verlagerten, wahrscheinlich wegen der hohen Kosten, die mit solchen Verlagerungen verbunden wären.Interviews mit ausländischen Investoren und anderen Stakeholder:innen bestätigten die Annahme, dass multinationale Konzerne aktiv über Near-Shoring-Strategien nachdenken bzw. diese umsetzen. Geopolitische Entwicklungen wie der Krieg in der Ukraine und die zunehmende globale politische Polarisierung beschleunigen diesen Trend. Eine Strategie, die hervorsticht und sich offenbar immer mehr durchsetzt, ist der Ansatz „local for local“ („von der Region für die Region“), der darin besteht, dass Unternehmen deren Produktion und sonstige Aktivitäten näher an ihren Endmärkten ansiedeln.

Die Interviews bestätigten auch, dass Investitionsentscheidungen zunehmend von Aspekten wie ökologischer Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung mitbeeinflusst werden. Der Druck der Behörden und die Erwartungen der Konsument:innen bewegen Unternehmen dazu, ihre Kohlenstoffemissionen zu reduzieren und Lieferketten zu verkürzen, was wiederum für Near-Shoring-Optionen spricht.

Fazit

Wenn Unternehmen über Near-Shoring-Strategien nachdenken bzw. diese umsetzen, so sind hier vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend: Erstens veranlassen die geopolitischen Spannungen und die zunehmende globale Unsicherheit die Unternehmen dazu, ihre Risiken zu verringern und die Kosten zu senken. . Zweitens unterliegen sie dem zunehmenden Druck, ihre Lieferketten zu verkürzen und Kohlenstoffemissionen zu reduzieren – auf Grund von behördlichen Auflagen und Erwartungen von Geschäftspartner:innen, die ihren eigenen ökologischen Fußabdruck verringern wollen.

Herkömmliches Near-Shoring (in dem Sinne, dass man Fabriken in Asien zusperrt und nach Osteuropa verlagert) wird vermutlich weiterhin ausbleiben, weil die damit verbundenen Kosten zu hoch wären. Stattdessen ist es wahrscheinlich, dass westeuropäische Unternehmen, die bereits über Betriebsstätten in Osteuropa verfügen, diese ausbauen, anstatt in Asien zu investieren. Gleichermaßen ist erwartbar, dass westeuropäische Unternehmen künftig eher in Osteuropa als in Asien investieren.

Ein weiterer bedeutender Trend betrifft asiatische Unternehmen, die in Osteuropa investieren, um sich dem EU-Markt anzunähern. Die Nähe zum EU-Markt erlaubt es ihnen, ihre Produkte direkt innerhalb der EU zu verkaufen und/oder effizienter mit Partnerunternehmen in der EU zusammenzuarbeiten.

Jüngste geopolitische Entwicklungen wie die Erfolge rechtsradikaler Parteien in Europa und die Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident werden sich wahrscheinlich auf komplexe Weise auf Near-Shoring-Dynamiken auswirken. Auf der einen Seite kann es sein, dass die zunehmende geopolitische Unsicherheit und globale politische Polarisierung Near-Shoring-Initiativen fördert. Handelskriege und die Auferlegung bzw. Erhöhung von Zolltarifen könnte chinesische und andere asiatische Unternehmen dazu veranlassen, Betriebsstätten in Osteuropa zu etablieren, um EU-Zölle zu umgehen. Auf der anderen Seite könnte ein Zurückfahren von Umweltauflagen bedeuten, dass Unternehmen nicht mehr dem Druck der Behörden und den Anforderungen von Geschäftspartner:innen unterliegen, sich aus ökologischen Gründen für Near-Shoring zu entscheiden.

Die größte Herausforderung in Bezug auf Near-Shoring in bzw. FDI für Osteuropa betrifft den zunehmenden Fachkräftemangel in der Region. Dieser birgt das Risiko, dass ausländische Unternehmen davon abgehalten werden, in die Region zu investieren. Die Regierungen sind angehalten, dieses Problem zu lösen, indem sie den regionalen Pool an qualifizierten Arbeitskräften durch Weiterbildungs- und Umschulungsinitiativen erweitern, ausländische Expert:innen anziehen und eine stärkere Automatisierung in die Wege leiten. Zusätzlich sollte stärker auf Hightech-Branchen fokussiert werden, die mit weniger Personal auskommen.

Referenzen:

Agnew, H. (2022). „Ukraine, supply chains and the end of globalisation“. Financial Times, 28. März. www.ft.com/content/bec75c62-a0e6-4ad1-8365-2671d40ef48e

Bakas, A. (2015). Capitalism & Slowbalization: The Market, the State and the Crowd in the 21st Century. Dexter.

Jovanović, B., Ghodsi, M., van Zijverden, O., Kluge, S., Gaber, M., Mima, R., et al. (2021). „Getting stronger after COVID-19: Near-shoring potential in the Western Balkans“. wiiw Forschungsbericht Nr. 453, Mai, wiiw, Wien. https://wiiw.ac.at/getting-stronger-after-covid-19-near-shoring-potential-in-the-western-balkans-dlp-5814.pdf

Jovanović, B., Zlatanović, A., Kluge, S., Zec, A., Ibrahimi, M., Brašanac M. et al. (2024). Transforming the Western Balkans through near-shoring and decarbonisation. wiiw und Western Balkans 6 Chamber Investment Forum. Abrufbar unter: https://wiiw.ac.at/transforming-the-western-balkans-through-near-shoring-and-decarbonisation-p-6999.html

McKinsey & Co. (2020). „Risk, resilience, and rebalancing in global value chains“. www.mckinsey.com/capabilities/operations/our-insights/risk-resilience-and-rebalancing-in-global-value-chains

The Economist (2019). „Slowbalisation: The steam has gone out of globalisation“, 24. Jänner. www.economist.com/leaders/2019/01/24/the-steam-has-gone-out-of-globalisation

Autoren:

Branimir Jovanović ist Ökonom am wiiw und Länderexperte für Nordmazedonien und Serbien. Seine aktuellen Forschungsinteressen liegen vor allem in den Bereichen wirtschaftliche Ungleichheit, Armut, Fiskalpolitik, Besteuerung, Sozialpolitik, Arbeitsrechte sowie Finanzkrisen und Erholungsphasen nach Krisen. Zuvor forschte er zu den Themen Geldpolitik, Kreditvergabe, Wechselkurse, Handel, ausländische Direktinvestitionen, Rücküberweisungen, Nachhaltigkeit der Leistungsbilanz, Prognosen und Immobilienpreise.

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Er ist Universitätsassistent und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.

Das Konzept der „Smile Curve“ am Prüfstand:Die Wertschöpfungsverteilung in globalen Wertschöpfungsketten

Dieser Artikel basiert auf einem noch unveröffentlichten Paper, das im Rahmen des Projekts TWIN SEEDS Horizon Europe verfasst wird, und untersucht die Wertschöpfungsverteilung auf verschiedene unternehmerische Funktionsbereiche (‚business functions‘), die innerhalb von Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen (MNU) in (Greenfield- bzw. Brownfield-)Projekte involviert sind. Die Validität des Konzeptes der ‘Smile Curve‘, das die Schöpfung von Mehrwert mit verschiedenen Abschnitten globaler Wertschöpfungsketten (GVC) in Zusammenhang bringt, soll einer Prüfung unterzogen werden, und zwar anhand der Analyse mehrerer Verteilungsvariablen (Aufschlagssätze als Näherungswerte für Gewinnspannen; Lohnsätze; Anteile, welche Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen).

Einleitung: Die Bedeutung der Wertschöpfungsverteilung innerhalb globaler Wertschöpfungsketten (GVC)

Die Wertschöpfungsverteilung innerhalb globaler Wertschöpfungsketten (GVC) interessiert Ökonomen und Entscheidungsträger schon seit geraumer Zeit. Die so genannte ‘Smile Curve‘ vermittelt das Konzept, dass die höchste Wertschöpfung bei Arbeitstätigkeiten erzielt wird, die dem Fertigungsprozess vor- bzw. nachgelagert sind, wobei Tätigkeiten im eigentlichen Fertigungsbereich mit vergleichsweise geringer Wertschöpfung einhergehen. Die GVC durchlaufen aktuell einen Wandel, der durch technischen Fortschritt, geopolitische Spannungen und den Umstieg auf umweltfreundlichere Wirtschaftsmodelle vorangetrieben wird. Diese Veränderungen erfordern resiliente Lieferketten, sodass sich erneut die Frage aufdrängt, wie die Schaffung von Mehrwert auf verschiedene Produktionsstufen des Wertschöpfungsprozesses verteilt ist.

Die erwähnte „Smile Curve“ ist ein Konzept, das von Mudambi (2008) geprägt wurde[i]. Es stellt dar, dass die Wertschöpfung bei vorgelagerten Arbeitstätigkeiten (Forschung & Entwicklung, Design, zentrale Unternehmenssteuerung, Finanzierung) sowie nachgelagerten Tätigkeiten (Marketing, Vertrieb, Logistik) am höchsten ist; der eigentliche Fertigungsprozess geht mit geringerer Wertschöpfung einher. Durch die Analyse der Wirtschaftsaktivitäten von Tochtergesellschaften multinationaler Unternehmen (MNU) können die Faktoren offengelegt werden, welche die Wertschöpfungsverteilung je nach Standort und unternehmerischem Funktionsbereich beeinflussen. Im Rahmen des Forschungsprojekts TWIN SEEDS Horizon Europe wurde das Konzept der „Smile Curve“, das die Schaffung von Mehrwert mit verschiedenen Etappen globaler Wertschöpfungsketten (GVC) in Zusammenhang bringt, einer Prüfung unterzogen, und zwar anhand der Analyse mehrerer Verteilungsvariablen (Aufschlagssätze als Näherungswerte für Gewinnspannen; Lohnsätze; Anteile, welche verschiedene Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen). Dieser Artikel basiert auf einer detaillierten Analyse von Daten aus der Orbis-Unternehmensdatenbank, die einen Zeitraum von über einem Jahrzehnt umfassen, und untersucht die funktionalen Spezialisierungsmuster innerhalb der internationalen Geschäftsbereiche von MNU-Tochterunternehmen sowie die Auswirkungen dieser Spezialisierungsmuster auf die Wertschöpfungsverteilung.

Die Bedeutung funktionaler Spezialisierungen verstehen

MNU gestalten die GVC entscheidend mit, indem sie die funktionale Spezialisierung entlang der Wertschöpfungskette fördern. Sie weisen bestimmte Tätigkeiten strategisch bestimmten Standorten zu, um die Effizienz und Profitabilität ihrer Geschäfte zu maximieren. Unsere Studie unterscheidet grob zwischen fünf unternehmerischen Funktionsbereichen:

1. Zentrale Unternehmenssteuerung – zentrale Entscheidungsfindung und Management.

2. F&E sowie IKT – Innovation, technologische Entwicklung und digitale Infrastruktur.

3. Finanz- und Unternehmensdienste (engl. Finance and Business Services, FBS) – Administrations- und Finanztätigkeiten.

4. Fertigung – Kerntätigkeiten in der Fertigung.

5. Verkauf, Marketing und Logistik (engl. Sales, Marketing and Logistics, SML) – Vertrieb, Marketing und Kundenmanagement.

Anhand dieser Kategorien kann einfacher untersucht werden, wie die Wertschöpfung verteilt ist – sowohl in Bezug auf verschiedene unternehmerischen Funktionsbereichen als auch auf verschiedene globale Regionen bzw. Ländern, wobei zwischen globalen und europäischen Wertschöpfungsmustern unterschieden wird.

Kernresultate der Studie in Bezug auf die Wertschöpfungsverteilung

1. Das Konzept der „Smile Curve“ trifft zu, was den Mehrwert anbelangt

Im Rahmen unserer Analyse konnte gezeigt werden, dass das Konzept der ‘Smile Curve‘ weiterhin von Relevanz ist. Die Wertschöpfungsquoten (Anteil der Wertschöpfung am Umsatz) sind in den Bereichen Zentrale Unternehmenssteuerung, F&E und IKT, FBS und SML durchwegs höher als im Fertigungsbereich (Bild 1). Diese Erkenntnis unterstreicht, dass hochqualifizierte, wissensintensive Tätigkeiten maßgeblich zur Wertschöpfung beitragen.

2. Die Aufschläge (Profitmargen) sind jedoch bei hoch-wertschöpfenden Funktionen geringer

Im Gegensatz zu herkömmlichen Interpretationen der ‘Smile Curve‘, welche sich primär auf die Wertschöpfungsquoten fokussieren, zeigen wir, dass die Gewinnspannen in Funktionsbereichen, die der Fertigung vor- bzw. nachgelagert sind, tendenziell geringer ausfallen als im Fertigungsbereich selbst (Bild 2). Das ist unter anderem auf die höheren Betriebs- und Arbeitskosten in wissensintensiveren Branchen zurückzuführen. Die höheren wirtschaftlichen Gewinne in diesen Segmenten manifestieren sich nicht so sehr in hohen Gewinnspannen für die Unternehmen, sondern eher in Form erhöhter Lohnsätze und vergleichsweise höheren Anteilen, die die Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen.

3. Die Anteile, die die Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen, spiegeln die funktionale Spezialisierung wider

Die Lohnsätze sind in Funktionsbereichen, die der Herstellung vor- bzw. nachgelagert sind, deutlich höher, was darauf zurückzuführen ist, dass die Unternehmen auf qualifiziertes Personal angewiesen sind. Die Anteile, die die Arbeitsleistungen zu Wertschöpfung und Umsatz beitragen, sind ebenfalls erhöht, was darauf hindeutet, dass Mitarbeiter:innen in diesen Segmenten eine stärkere Verhandlungsmacht haben und mehr verdienen (Bild 2). Im Gegensatz dazu werden Tätigkeiten im Fertigungsbereich schlechter entlohnt und die Arbeitsleistung beträgt einen geringeren Anteil zu Wertschöpfung und Umsatz, wobei oftmals Automatisierung und andere kosteneffiziente Praktiken zum Einsatz kommen.

Regionale Muster der funktionalen Spezialisierung

Unsere Studie hat markante regionale Disparitäten (Bild 3) bei der Wertschöpfungsverteilung entlang der GVC aufgezeigt:

1. Globale vs. europäische Dynamiken

MNU profitieren von erheblichen globalen Unterschieden, was Löhne, Qualifizierung und Arbeitsmarktbedingungen betrifft – sodass sie in Niedriglohn-Ländern geringere Löhne bezahlen können und durch ihre Marktpositionierung über einen größeren Spielraum zur Erzielung höherer Gewinnspannen verfügen. Innerhalb Europas gibt es weniger differenzierte Lohnstrukturen in den unterschiedlichen Funktionsbereichen, da die qualifizierte Arbeitnehmerschaft homogener verteilt und der Arbeitsmarkt stärker durch Maßnahmen und Vorschriften harmonisiert ist. Im Vergleich zu Tochterunternehmen im nicht-europäischen Raum, zeigt sich bei europäischen Tochterunternehmen ein geringerer Lohnunterschied zwischen Funktionen im und außerhalb des Fertigungsbereichs.

2. Der Vorteil der  EU-MOE in den Bereichen F&E, IKT sowie Verkauf, Marketing und Logistik (SML)

Eine Analyse der Geschäftstätigkeiten, die multinationale Unternehmen (durch ihre Tochterunternehmen) in mittelosteuropäischen EU-Mitgliedsländern (EU-MOE) durchführen, zeigt, dass sie vor allem in Funktionsbereichen, die sich mit F&E, IKT sowie SML beschäftigen, hohe Gewinnspannen erzielen. Die Wertschöpfungsraten in diesen Funktionen übertreffen jene im Fertigungsbereich – eine Entwicklung, die durch den vergleichsweise geringeren Kostenaufwand und die wachsende Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften begünstigt wird. Betrachtet man die Situation unter dem Gesichtspunkt der Kosten, so suggerieren diese Trends, dass die EU-MOE-Wirtschaften zu wettbewerbsfähigen Hubs für Innovation und Logistik innerhalb der GVC heranwachsen.

Implikationen für Entscheidungsträger:innen

Entscheidungsträger:innen sind dazu aufgerufen, mit hoher Wertschöpfung assoziierte Funktionsbereiche (F&E, IKT, zentrale Steuerung) zu fördern. Dieses Ziel kann durch gezielte Initiativen, (Fort-) Bildungsinvestitionen und infrastrukturelle Verbesserungen erreicht werden, die Arbeitskräften besseren Zugang zu hoch-wertschöpfenden Funktionen ermöglichen.

Wenn sich Unternehmen darum bemühen, qualifizierte Arbeitskräfte in den verschiedenen Unternehmensfunktionsbereichen  einzustellen, so führt das zu geringeren Disparitäten in der Wertschöpfungsverteilung. Dies kann durch Kollektivvertragsverhandlungen die zu Angleichung von Lohnstrukturen in diesen Bereichen führensowie durch Fortbildungsmöglichkeiten gefördert werden.

Die Wertschöpfungsverteilung entlang globaler GVCs sollte auch auf globaler/regionaler Ebene transparent gestaltet sein. Steuerregelungen und Standards für die Unternehmensberichterstattung sollten Praktiken unterbinden, die darauf abzielen, Profite vorrangig in Niedrigsteuerländern zu erzielen, sowie von Praktiken, welche die Beiträge von Unternehmenstätigkeiten in unterschiedlichen Regionen stark unterscheidlich entgelten.

Ausblick: Wie die Wertschöpfungsverteilung in GVC künftig aussehen wird

Da die globalen Wirtschaften zunehmend auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung ausgerichtet werden, ist davon auszugehen, dass die Wertschöpfungsverteilung innerhalb der GVC einem Wandel unterworfen sein wird. Künftige Studien sollten untersuchen, wie sich diese Trends auf die funktionale Spezialisierung von internationalen Wertschöpfungsketten auswirken. Dabei können detaillierte Daten zu Transaktionen zwischen MNUs näheren Aufschluss über das Zusammenspiel von Preisstrategien, Lohnverhandlungen, Upskilling und der Wertschöpfungsverteilung geben.

Schlussfolgerung
Die ‘Smile Curve‘ ist und bleibt ein sehr nützliches Konzept, wenn es darum geht, die Wertschöpfungsverteilung innerhalb der GVC zu veranschaulichen. Die Ergebnisse unserer Studie verdeutlichen, dass die funktionale Spezialisierung entlang der Wertschöpfungskette erheblich beeinflusst, wie Wertschöpfungsketten ausgestaltet und geschöpfte Werte verteilt werden. Entscheidungsträger:innen sind dazu aufgerufen, können diese Erkenntnisse nutzen, um ihre Wirtschaftsbereiche als attraktive Hubs für hoch-wertschöpfende Tätigkeiten zu positionieren, die auch einem gut qualifizierten Personal sein Tätigkeit entsprechend entgelten und damit ein gerechtes Wachstum fördern.


[i] Mudambi, R. (2008). Location, control and innovation in knowledge-intensive industries. Journal of Economic Geography, 8 (5), 699-725.

Autoren:

Mahdi Ghodsi ist Wirtschaftswissenschaftler am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Senior Fellow und Leiter des Bereichs Wirtschaft am Center for Middle East and Global Order.

Michael Landesmann ist Senior Research Associate am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Er ist emeritierter Professor an der Johannes Kepler Universität Linz.

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.

Auswirkungen des europäischen CO2-Grenzausgleichssystems (CBAM) auf Einkommen und Emissionen in der EU und international

Das europäische CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) wird derzeit graduell eingeführt und tritt mit 1. Jänner 2026 vollständig in Kraft. Wir evaluieren anhand eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells, welche Auswirkungen die neuen Tarife für CO2-intensive Importe auf Wohlstand, Einkommen und Emissionen haben. Was die EU betrifft, so ergibt sich eine Zunahme des Handels und in der Folge ein geringfügiger Anstieg des Wohlstands, wobei die Reallöhne marginal sinken. Obwohl die CO2-Emissionen auf globaler Ebene weniger werden, kommt es durch die Spezialisierung auf CO2-intensivere Wirtschaftszweige in den EU-Ländern zu einem geringen Anstieg der Emissionen innerhalb der EU.

Einleitung

Das derzeit graduell eingeführte europäische CO2-Grenzausgleichssystem (auch europäischer CO2-Grenzausgleichsmechanismus, auf Englisch abgekürzt „CBAM“), sieht vor, dass CO2-Emissionen, die bei der Herstellung importierter Waren verschiedenen Ursprungs anfallen, gleichermaßen bepreist werden – unabhängig davon, ob die Produktion der Waren inner- oder außerhalb der EU erfolgt. Der CBAM hat zwei primäre Ziele. Das erste Ziel besteht darin, das Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionsquellen – d. h. einer Umsiedelung von Produktionsstätten in Nicht-EU-Länder mit weniger stringenten Klimaauflagen – zu senken. Das zweite Ziel besteht darin, für Produzent:innen in Nicht-EU-Ländern einen Anreiz zu schaffen, die beim Herstellungsprozess anfallenden Emissionen zu verringern. Der CBAM gilt seit 1. Oktober 2023, wobei ein Übergangszeitraum bis 31. Dezember 2025 festgelegt wurde. Am 1. Jänner 2026 soll der CBAM dann voll in Kraft treten. Die erste Phase des CBAM, in der Importeur:innen über die Einfuhr bestimmter Warengruppen berichten mussten, endete am 31. Jänner 2024. Seit 1. Jänner 2025 sind sämtliche Importeur:innen bzw. deren Vertretungen verpflichtet, vor der Einfuhr von in den CBAM aufgenommenen Warengruppen ein CBAM-Zertifikat zu beantragen. In der ersten Phase umfassten diese Warengruppen die Kategorien Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemittel, Strom und Wasserstoff. Seit 2026 müssen CBAM-Zertifikate beim Import bestimmter Warengruppen, deren Produktion in Drittländern Treibhausgasemissionen (THG) verursacht hat, erworben werden. Die Menge der zu erwerbenden CBAM-Zertifikate ist von der Menge der während der Produktion entstandenen THG abhängig; der Preis der CBAM-Zertifikate basiert auf dem Preis der Zertifikate des EU-Emissionshandelssystems[1] (EU-EHS) zum Zeitpunkt des Warenimports. Die durch den CBAM auferlegten Importtarife korrelieren demensprechend mit den Kosten, die im Fall einer Produktion innerhalb der EU durch die Emission von THG sowie den Erwerb von EU-EHS-Kontingenten angefallen wären.

Aus wirtschaftsanalytischer Sicht belegt der CBAM Importe aus bestimmten Wirtschaftssektoren mit auf CO2-Emissionen fokussierten Tarifen. Die Implikationen solcher Tarife erörtern Flórez Mendoza et al. (2024) anhand eines allgemeinen Gleichgewichtsmodells nach dem Ansatz von Caliendo und Parro (2015), und zwar anhand der länderspezifischen Input-Output-Tabellen der OECD von 2023 (OECD-ICIO 2023), welche Daten für 76 Länder und 45 Wirtschaftszweige mit Informationen zu den CO2-Emissionen der laut Branchenklassifikation gleichwertigen Wirtschaftszweige für das rezenteste verfügbare Jahr (2020) kombinieren.


[1] Vgl. https://climate.ec.europa.eu/eu-action/eu-emissions-trading-system-eu-ets_en

Auswirkungen des europäischen CBAM auf den Wohlstand

Die CBAM-Tarife sind vom Preis der EU-Emissionshandelszertifikate abhängig, wobei in unserem Basisszenario eine Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro angenommen wird. Von den 45 in unserem Datensatz vertretenen Wirtschaftszweigen sind 9 von solchen Tarifen betroffen. Die wichtigsten betroffenen Warengruppen sind Strom (NACE D), Erdöl (NACE C19), Mineralien (NACE C23) und Metalle (NACE C24), mit Tarifäquivalenten von bis zu 10 % bei einem angenommenen CO2-Preis von 100 Euro.

Die wirtschaftlichen Implikationen solcher durch die EU- und EFTA-Länder auferlegter Tarife  werden in Abbildung 1 dargestellt. Es wird deutlich, dass sich die Handelsbedingungen für die EU verbessern, da die Produkte unelastisch bereitgestellt werden; die Importpreise abzüglich der CBAM-Tarife sinken, während die Exportpreise steigen. In dem angenommenen Basisszenario mit einer Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro nimmt der Wohlstand in der EU laut Modell um 0,016 % zu, während die Handelsbedingungen und der Wohlstand in anderen Ländern um 0,005 % sinken. Global gesehen nimmt der Wohlstand nur marginal ab. Auf Grund der allgemein geringeren Nachfrage sinken die Reallöhne in allen Ländergruppen, allem voran in der EU (um 0,025 %). Je höher der zugrundeliegende CO2-Preis, desto stärker die Auswirkungen (siehe Abbildung 1).

Auswirkungen auf die globalen CO2-Emissionen

Die Zu- bzw. Abnahme von CO2-Emissionen wird in diesem Rahmen ausschließlich mit veränderten wirtschaftlichen Spezialisierungsmustern in Zusammenhang gebracht. Die Tarife, die im angenommenen Basisszenario mit einer Bepreisung der CO2-Emissionen in Höhe von 100 Euro beziffert werden, führen zu einer zunehmenden Spezialisierung auf CO2-intensive Wirtschaftszweige in der EU, wodurch die CO2-Emissionen in der EU um 0,72 % zunehmen (siehe Abbildung 2). Das Gegenteil geschieht in den anderen Ländern. Dort sinken die CO2-Emissionen um 0,143 %. Die globalen Auswirkungen sind nicht klar definierbar und hängen davon ab, wie CO2-intensiv die globale Warenproduktion in den beiden Ländergruppen ist. Allerdings ist die Produktion in EU-Ländern durchschnittlich weniger CO2-intensiv als in anderen Ländern, und die Produktion von Waren, deren Herstellung besonders CO2-intensiv ist, wird in die EU verlagert. Daher sinken die CO2-Emissionen global gesehen um 0,08 %. Je höher der CO2-Preis, desto stärker wird die Spezialisierung auf CO2-intensive Wirtschaftszweige in der EU vorangetrieben. Dementsprechend steigen die CO2-Emissionen stärker in der EU; nehmen aber global gesehen ab (siehe Abbildung 2).

Schlussfolgerungen

Erstens deuten die Ergebnisse dieser Studie global gesehen auf kleine, aber doch positive Umweltauswirkungen hin. Die Einführung des europäischen CBAM führt zu einer Reduktion der CO2-Emissionen insgesamt, da weniger Waren in Ländern mit CO2-intensiven Herstellungsprozessen, und mehr Waren in Ländern mit weniger CO2-intensiven Herstellungsprozessen gefertigt werden. Wie erwähnt, ist die Auswirkung auf das globale Emissionsvolumen aber relativ gering.

Zweitens zeigen unsere Hochrechnungen, dass der Wohlstand in jenen Ländern, die am CBAM teilnehmen (bzw. in den EU- und EFTA-Ländern), zunimmt. Umgekehrt nimmt der Wohlstand in den anderen Ländern ab. Was die Zu- bzw. Abnahme von CO2-Emissionen betrifft, so ergeben sich insgesamt nur relativ geringe Veränderungen.

Drittens zeigt sich: Je höher der zugrundeliegende CO2-Preis, desto stärker sind die Auswirkungen auf alle in der Studie berücksichtigen Variablen. Das überrascht nicht, zumal höhere CO2-Preise die Anwendung eines höheren CBAM-Tarifs implizieren.

Allerdings führt der CBAM zu einem Anstieg der CO2-Emissionen in der EU, da sich die dortigen Wirtschaftszweige stärker auf die Produktion von Waren spezialisieren, deren Herstellung CO2-intensiv ist. Hier ist unbedingt zu beachten: Dieser Ansatz berücksichtigt nicht, dass höhere Importkosten (und letztendlich steigende CO2-Preise) für Firmen einen Anreiz darstellen, weniger CO2-intensive Technologien einzusetzen. Außerdem könnten sektorspezifische Strategien im Rahmen des erweiterten klimapolitischen Rahmens der EU solch einen technologischen Wandel begünstigen (siehe Draghi 2024, Kapitel 3). Politische Entscheidungsträger:innen sollten sich auf die Regulierung von Sektoren mit hohen Emissionen – wie etwa der Energieversorgung und Schwerindustrie – konzentrieren und Anreize für den Umstieg auf klimafreundliche Technologien schaffen. Wirtschaftszweige, die geringe Emissionen verursachen, könnten von Maßnahmen profitieren, die den Fortschritt und umweltfreundliche Innovationen voranbringen. Solch ein Ansatz würde dem europäischen Klimagesetz („EU Green Deal“) entsprechen, einen effektiven Übergang zu einer CO2-emissionsarmen Wirtschaft fördern und zugleich die Wettbewerbsposition der EU stärken.

Literaturangaben

Caliendo, L. & F. Parro (2015), Estimates of the trade and welfare effects of NAFTA, The Review of Economic Studies, Bd. 82(1), S. 1-44.

Draghi, M. (2024), The future of European competitiveness – Part A: A competitiveness strategy for Europe, Europäische Kommission. Abrufbar unter: https://commission.europa.eu/topics/strengthening-european-competitiveness/eu-competitiveness-looking-ahead_en

Flórez Mendoza, J., O. Reiter & R. Stehrer (2024), EU carbon border tax: General equilibrium effects on income and emissions, wiiw-Arbeitspapier, Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw), erscheint in Kürze.

Autoren:

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).

Javier Flórez Mendoza ist Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Forschungsschwerpunkte sind internationaler Handel, Handelspolitik, europäische Integration, Umweltökonomie und Regionalökonomie. Er ist PhD-Kadidat an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.

Mögliche Auswirkungen der von D. Trump angekündigten US-Zollerhöhungen

Der US-Präsidentschaftskandidat hat für den Fall seiner Wiederwahl massive Zollerhöhungen auf US-Importe allgemein und gegen China im Besonderen angekündigt. Solche Maßnahmen würden das globale Handelssystem weiter destabilisieren und hätten auch unmittelbare negative Auswirkungen auf die Einkommen in den jeweiligen Exportmärkten wie der EU oder China. Noch stärker wären die Folgen jedoch für die USA selbst, wie unsere Berechnungen anhand eines multisektoralen Gleichgewichtsmodells zeigen.

Einleitung

So unvorhersehbar der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl am 5. November ist, so ungewiss sind auch die möglichen Folgen für die internationale Wirtschaftspolitik und das globale Handelssystem. Letztere hängen allerdings nicht allein davon ab, ob Kamala Harris oder Donald Trump gewinnt, sondern auch von den neuen Mehrheiten im US-Kongress sowie den dort handelnden Personen. Harris und Trump verfolgen teilweise ähnliche Ziele, wie z. B. den Schutz der heimischen Industrie, die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Rückverlagerung verlorener Branchen in die USA, die Wahrung der technologischen Führungsrolle der USA und die Verringerung der Abhängigkeit von internationalen Lieferketten. Trotzdem unterscheiden sich die Ansätze von Harris und Trump erheblich in Bezug auf die Radikalität der geplanten Maßnahmen, die Geschwindigkeit, mit der diese umgesetzt werden würden, sowie in der Art der geplanten Umsetzung. Ein wesentlicher inhaltlicher Unterschied betrifft die Klima- und Umweltpolitik, bei der wohl nur von Harris konstruktive Ansätze zu erwarten sind (für Details siehe Stehrer 2024).

Die angekündigten Zollerhöhungen

Eine der wichtigsten Drohkulissen Donald Trumps sind die angekündigten Zollerhöhungen auf 10 % für alle US-Importe und eventuell auf 60 % (oder sogar mehr) für Importe aus China – wobei Trump in seinen Wahlkampfveranstaltungen auch noch höhere Zölle in den Raum gestellt hat. Um die Auswirkungen solcher Zollerhöhungen abschätzen zu können, ist es zunächst notwendig, die aktuellen Zolltarife zu kennen (siehe Abbildung 1 zu den durchschnittlichen Zollsätzen). Die EU erhebt gegenüber den USA und China Zölle von 5,2 %; die USA erheben gegenüber der EU27 Zölle von 3,5 % bzw. gegenüber China durchschnittlich Zölle von 3,6 %. China verlangt im Durchschnitt höhere Zölle von 7,5 (gegenüber der EU) bzw. 7,6 % (gegenüber den USA). Der angekündigte Anstieg der US-Importzölle auf 10 % unter Trump würde somit etwa eine Verdreifachung bedeuten.

Auswirkungen der Zölle in einem Gleichgewichtsmodell

Die Auswirkungen solcher Zollerhöhungen können mithilfe von Handelsmodellen (wie z. B. allgemeinen Gleichgewichtsmodellen) abgeschätzt werden. Berechnungen auf Basis des Modells nach dem Ansatz von Caliendo und Parro 2015 (für Details siehe Mendoza et al. 2024) zeigen, dass bei einem Anstieg der US-Importzölle auf mindestens 10 % – sofern höhere Zölle auf dem ursprünglichen Niveau bleiben – das Gesamteinkommen in den USA, einschließlich der Zolleinnahmen, um 0,08 % steigen würde. Allerdings würden die Realeinkommen, die diese Zolleinnahmen nicht berücksichtigen, um etwa 0,14 % sinken – vor allem, weil die Importe teurer werden. Die Einkommen in China würden um etwa 0,02 % zurückgehen, während die EU-Länder mit einem Rückgang von 0,05 % etwas stärker betroffen wären. Bei einer weiteren Erhöhung der Zölle auf 60 % für Importe aus China würde das US-Einkommen (inklusive Zolleinnahmen) zwar um 0,12 % steigen; jedoch würden die Realeinkommen noch stärker um 0,33 % sinken. In China wären in diesem Szenario die Einkommensverluste mit 0,15 % etwas höher. Für die EU27 würde der Einkommensrückgang ungefähr gleich stark wie vorher ausfallen. Insgesamt würde das globale Handelsvolumen durch die geplanten Zollmaßnahmen leicht sinken.

Schlussfolgerungen

Unsere Schätzungen zeigen, dass die angekündigten Zollerhöhungen auf US-Importe die Realeinkommen in den USA selbst am stärksten treffen würden (ähnlich argumentieren Clausing und Lovely (2024) sowie Baldwin (2024)). Die geplanten Zollerhöhungen hätten auch (relativ) geringe negative Auswirkungen auf die Einkommen der US-Handelspartner.

Insgesamt ist zu betonen, dass unsere Berechnungen unter der Vollbeschäftigungsannahme gelöst wurden und keine weiteren Faktoren berücksichtigen. Relevante Faktoren wären etwa Vergeltungsmaßnahmen und somit Zollerhöhungen anderer Länder gegen US-Importe – oder weitere negative Wachstumseffekte aufgrund von Unsicherheiten und einem Rückgang der globalen Handelsströme. Solche Entwicklungen hätten nochmals stärkere, negative Gesamtauswirkungen zur Folge.

Obwohl die angekündigten Zollerhöhungen insgesamt überschaubare Effekte auf die Einkommen und den globalen Handel hätten, ist davon auszugeben, dass solche unilateralen Maßnahmen unter einer Präsidentschaft von Trump das internationale Handelssystem weiter destabilisieren würden.

Referenzen

Baldwin, R. (2024), Will Trump’s tariffs on China harm US manufacturing?, Factful Friday (via LinkedIn).

Caliendo, L. and F. Parro (2015), Estimates of the Trade and Welfare Effects of NAFTA, Review of Economic Studies, 82(1): 1–44.

Clausing, K.A. and M.E. Lovely (2024), Why Trump’s Tariff Proposals Would Harm Working Americans, PIIE Policy Brief, May 2024.

Mendoza, J., O. Reiter and R. Stehrer (2024), EU Carbon Border Tax: General Equilibrium Effects on Income and Emissions, wiiw Working Paper, forthcoming.

Stehrer, R. (2024), Mögliche Auswirkungen der US-Präsidentschaftswahl auf den Welthandel, FIW Jahresgutachten – Update 2024, Kapitel 2. Abrufbar unter: https://www.fiw.ac.at/publications/fiw-jahresgutachten-update-oktober-2024

Autoren:

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).

Oliver Reiter ist Ökonom und Data Scientist am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Forschungsschwerpunkte sind internationaler Handel, nicht-tarifäre Maßnahmen im Handel, die Erstellung/Aktualisierung einer multiregionalen Input-Output-Datenbank (wie WIOD) und agentenbasierte makroökonomische Modelle. Er hat einen Bachelor- und einen Master-Abschluss in Volkswirtschaft, einen Bachelor-Abschluss in Statistik und einen Master-Abschluss in Informatik, alle von der Universität Wien. Er ist zurzeit Doktorand an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und PhD-Kandidat an der Leopold-Franzens Universität Innsbruck.

Globaler Handel und geopolitische Fragmentierung

Der Großteil der weltweiten Handelsströme entfällt auf einige wenige Länder. Neu entstehende geopolitische Ländergruppen wie die BRICS-Staaten machen etwa ein Fünftel der weltweiten Exporte aus, wobei dieser Anteil hauptsächlich auf China zurückzuführen ist. Unterteilt man die Länder in eine westliche Gruppe (einschließlich der USA und der europäischen Ökonomien) und eine auf China ausgerichtete Gruppe, so zeigt sich, dass auf erstere fast zwei Drittel des Welthandels entfallen. Wie einige neuere Studien zeigen, könnte eine zunehmende geopolitische Fragmentierung starke negative Auswirkungen für alle Länder haben.

Neben den traditionell betrachteten Kräften, die die bilateralen Handelsflüsse beeinflussen (z. B. die Größe der Handelspartner, die geografische oder kulturelle Entfernung, Sprachbarrieren oder bilaterale handelspolitische Maßnahmen), bestimmen geopolitische Entwicklungen zunehmend die globalen Handelsströme (siehe Bosone et al. 2024). Insbesondere seit dem völkerrechtswidrigem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine im Jahr 2022 gewinnen geopolitische Allianzen verstärkt an Bedeutung und der Trend zu einer bi- oder multipolaren geopolitischen und wirtschaftlichen Weltordnung scheint immer unumkehrbarer zu werden. In diesem Spotlight zeigen wir ausgewählte Belege für die Muster der bilateralen Handelsströme zwischen Ländergruppen, die aus einer aktuellen geopolitischen Perspektive definiert wurden.

Der Löwenanteil der weltweiten Handelsströme entfällt auf einige wenige Länder

Etwa die Hälfte der weltweiten Exportströme wird von nur 10 Ländern generiert, darunter China (mit 16 %), die Vereinigten Staaten (9 %) und Deutschland (8 %). Dasselbe gilt für die Einfuhren, wobei die Vereinigten Staaten ebenfalls führend sind (mit fast 15 %), gefolgt von China (10 %) und Deutschland (7 %). Darüber hinaus entfallen 75 % der Ausfuhren auf 21 Länder und 90% der Ausfuhren auf 38 Länder (von insgesamt mehr als 230 Ländern). Das Gleiche gilt für die Importe, die zu 75 % auf 20 Länder und zu rund 90 % auf 41 Länder entfallen. Zum Vergleich: Auf Österreich entfällt rund 1 % des weltweiten Warenhandels.

Welthandel nach geopolitischen Ländergruppen

Aus geopolitischer Sicht ist es aufschlussreicher, die Welthandelsmuster anhand von Ländergruppen zu betrachten. Die Gruppe der Sieben (G7) beispielsweise ist ein zwischenstaatliches politisches und wirtschaftliches Forum, das sich aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten zusammensetzt, wobei die Europäische Union (EU) ein „nicht aufgezähltes Mitglied“ ist. Unseren Daten zufolge entfallen auf die G7-Länder rund ein Drittel der weltweiten Exporte, also etwa doppelt so viel wie auf China.

Eine Ländergruppe, die an geopolitischer Bedeutung gewinnt, ist die der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), die darauf abzielt, die Dominanz der westlichen Volkswirtschaften zu brechen und die geopolitische und wirtschaftliche Ordnung zu verändern (siehe auch Holzner 2024)[1].  Doch wie wichtig ist der Handel der BRICS im Vergleich zu anderen Gruppen von Ökonomien? Auf die BRICS entfallen etwa ein Fünftel der weltweiten Ausfuhren und 15 % der weltweiten Einfuhren (Abbildung 2). Man sollte jedoch beachten, dass diese Anteile von China dominiert werden, das für drei Viertel der BRICS-Exporte verantwortlich ist (Rest: Indien 9 %, Brasilien 7,5 %, Russland 6,3 % und Südafrika 3 %). Auf die EU27 entfällt immer noch fast ein Drittel der weltweiten Exporte und Importe, wobei etwa 20 % der Handelsströme innerhalb der EU27 stattfinden. Auf die Vereinigten Staaten entfallen etwa 10 % der weltweiten Ausfuhren (was ungefähr dem Anteil der EU27 ohne den Intra-EU27-Handel entspricht) und 15 % der weltweiten Einfuhren. Für die übrigen Länder (darunter einige der oben erwähnten Top-10-Exporteure, wie Kanada, Japan, Südkorea und Mexiko) beträgt der Anteil etwa 38 %.

Die BRICS-Gruppe ist jedoch selbst eine recht heterogene Gruppe von Ländern (was für BRICS+ noch mehr gilt). Unter diesen Umständen könnte man die Länder in die folgenden Gruppen einteilen: „US-Verbündete“ (neben den Vereinigten Staaten wären dies: Kanada, die EU-27-Länder, andere europäische Volkswirtschaften, einschließlich der Schweiz, Norwegens und des Vereinigten Königreichs, Japan, Australien und Neuseeland), „US orientiert“ (z. B. Kolumbien, Mexiko, Marokko, die Türkei und Südkorea), „China orientiert“ (einschließlich vieler Länder in Afrika und Asien) und „China-Verbündete“ (z. B. zusätzlich zu China der Iran, Nordkorea, Pakistan und Russland). Zu den nicht verbündeten Ländern gehören Brasilien, Indien, Indonesien und Nigeria.

Im Folgenden fassen wir die „US orientieren“ und die „US-Verbündeten“ zu einem „Westlichen Block“ sowie die „China orientierten“ und die „China-Verbündeten“ zu einem „China-Block“ zusammen. Die Anteile am Welthandel nach diesen Blöcken sind in Abbildung 3 dargestellt. Obwohl diese Zuordnungen bis zu einem gewissen Grad unscharf sind, sind die groben Muster erkennbar: Während fast zwei Drittel der weltweiten Ausfuhren aus dem westlichen Block stammen, entfallen etwas weniger als 30 % auf den chinesischen Block. Auf die übrigen Länder entfallen etwa 10 % der weltweiten Ausfuhren. Interessant ist auch, dass der Handel innerhalb des westlichen Blocks etwa die Hälfte der weltweiten Ausfuhren ausmacht, während der Handel innerhalb des chinesischen Blocks nur für etwa 9 % des Welthandels verantwortlich ist. Eine weitere wichtige Tatsache ist, dass mehr als die Hälfte der Exporte des China-Blocks (oder 16 % der weltweiten Exporte) in den westlichen Block geliefert werden, während nur etwa 16% der Exporte des westlichen Blocks (10 % der weltweiten Exporte) von diesen Ländern in die Länder des China-Blocks geliefert werden.

Was die Einfuhren betrifft, so ist der Anteil des westlichen Blocks an den weltweiten Einfuhren mit 69 % höher als der Anteil an den weltweiten Ausfuhren (62 %) und deutet somit auf ein Handelsdefizit hin. Das Gegenteil ist der Fall für den chinesischen Block, auf den 22 % der Einfuhren entfallen (im Vergleich zu einem Anteil von 28 % an den weltweiten Ausfuhren).

Die Kosten der zunehmenden geopolitischen Fragmentierung

Es wurden einige stilisierte Fakten über die Geometrie des Handels innerhalb und zwischen Ländergruppen, die entlang geopolitischer Dimensionen definiert sind, dargestellt. Diese bilateralen Muster deuten auch auf das Vorhandensein starker gegenseitiger Beziehungen hin, und zwar sowohl in Bezug auf die Importabhängigkeit als auch in Bezug auf die Abhängigkeit von ausländischen Märkten für alle beteiligten Handelspartner, wie in der jüngeren Literatur dokumentiert wurde. Eine fortgesetzte und zunehmende geopolitische Entfernung wird sich daher wahrscheinlich für alle Länder nachteilig auswirken, wie einige Literaturstellen zeigen. Góes und Bekkers (2022) kommen beispielsweise zu dem Ergebnis, dass eine potenzielle Entkopplung des Welthandelssystems in zwei Blöcke – einen US-zentrierten und einen China-zentrierten Block – den globalen Wohlstand erheblich verringern würde. Ergebnisse, die in dieselbe Richtung weisen, sind in Campos et al. (2023a, 2023b) dokumentiert. Schließlich zeigen die in Aiyar et al. (2023) zusammengefassten Ergebnisse, dass die Kosten der Handelsfragmentierung zwischen 0,2 % und 7 % des BIP liegen werden, je nach spezifischem Szenario, Modellannahmen und betrachteten Länderblöcken. Kommt die technologische Entkopplung hinzu, könnte der Produktionsverlust in einigen Ländern 8 % bis 12 % erreichen. Angesichts dieser starken negativen Auswirkungen wäre es im gemeinsamen Interesse aller Länder, das derzeitige regelbasierte multilaterale Handelssystem zu erhalten und zu sichern.


[1] Der Begriff „BRIC“ wurde 2001 von Jim O’Neill, dem damaligen Chefvolkswirt von Goldman Sachs, geprägt. Die Organisation wurde 2006 offiziell ins Leben gerufen und 2010 um Südafrika erweitert. Seit 2024 gehören der Organisation auch Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate an, was zu einer Namensänderung in „BRICS+“ führte. Argentinien lehnte die Mitgliedschaft in der Gruppe ab, nachdem Javier Milei Ende 2023 deren Präsident geworden war.

Autor:

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.

Die Auswirkungen neuer Technologien auf die Beschäftigung von Migrant:innen in der EU

In diesem Spotlight werden die Auswirkungen neuer Technologien auf die Beschäftigung von Arbeitsmigrant:innen und einheimischen Arbeitnehmer:innen in der EU analysiert. Zunächst wird das Ausmaß der Arbeitsmigration in ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten und deren Entwicklung in den letzten Jahren dargestellt. Anschließend wird zusammengefasst, wie sich neue Technologien auf inländische und ausländische Arbeitskräfte auswirken, wobei der Schwerpunkt auf dem Einfluss von Innovationen und der Robotisierung liegt.

Technologischer Fortschritt und Beschäftigung von Migrant:innen: Eine EU-Perspektive

Die Auswirkungen des technologischen Fortschritts, wie z. B. Robotisierung und Digitalisierung, auf die Beschäftigung allgemein und der von Migrant:innen könnten die Arbeitsmarktdynamik in der Europäischen Union (EU) ändern. Der durch diese neuen Technologien herbeigeführte Wandel ist tiefgreifend, insbesondere in Branchen wie der verarbeitenden Industrie, wo die potenzielle Substitution von Arbeitnehmer:innen durch Roboter insbesondere Migrant:innen dazu veranlassen könnte, eine Alternative zu suchen. Die Analyse eines solchen Szenarios erfordert genauere Kenntnisse der spezifischen Arbeitsplätze von Migrant:innen, die von diesen Technologien betroffen sind, was in Ghodsi et al. (2024) eingehend untersucht wird.

Die Identifizierung der Arbeitsplätze von Migrant:innen, die mit der Einführung von Technologien verbunden sind, bietet Einblicke in die potenziellen Risiken und Chancen für dieses Segment der Erwerbsbevölkerung in einer zunehmend durch Automatisierung und Digitalisierung gekennzeichneten Wirtschaft. Dies ist für den EU-Arbeitsmarkt besonders wichtig, da der Anteil der Arbeitsmigrant:innen in der EU laut der EU-Arbeitskräfteerhebung (EU-AKE) von weniger als 9% im Jahr 2005 auf etwa 14% im Jahr 2019 gestiegen ist (siehe Abbildung 1).

Die Rolle von Migrant:innen in ausgewählten EU-Ländern

Abbildung 2 zeigt erhebliche Unterschiede im Anteil der ausländischen Arbeitskräfte in den einzelnen EU-Ländern, wobei Luxemburg mit 52% an der Spitze liegt. Dies ist deutlich höher als in Österreich (19%) und Schweden (18%), während die Slowakei, die Tschechische Republik und Litauen die niedrigsten Anteile aufweisen, die zwischen 1% und 4% liegen. Österreich hat damit den zweitgrößten Anteil an ausländischen Arbeitskräften in der EU, gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten. Luxemburg hatte mehr ausländische Arbeitskräfte, was vor allem auf seine attraktive Lage, die hohen Löhne und die Präsenz der EU-Institutionen zurückzuführen ist, die das Land natürlich zu einem bevorzugten Ziel für qualifizierte Arbeitskräfte machen. Im Gegensatz dazu haben die baltischen Staaten und die Slowakei mit weniger als 1% die geringsten Anteile an EU-Migrant:innen. In Schweden, Deutschland, Spanien und Österreich überwiegen Nicht-EU-Arbeitskräfte mit Anteilen von bis zu 13%, wobei die Gründe häufig in geografischen und historischen Verbindungen zu Nicht-EU-Ländern liegen.

Die Verteilung der Arbeitsmigrant:innen auf Berufe und Länder von 2015 bis 2019 zeigt heterogene Beschäftigungsmuster. Wie in Abbildung 3 dokumentiert, waren ausländische Arbeitskräfte überwiegend in Dienstleistungs- und Verkaufsberufen (ISCO 5) zu finden, wobei die Anteile von über 30% in Ländern wie Griechenland und Spanien bis zu knapp über 10% in Litauen und Slowenien reichten. Das niedrigste Beschäftigungsniveau von Arbeitsmigrant:innen war in qualifizierten Sektoren der Land- und Forstwirtschaft sowie der Fischerei zu finden (ISCO 6). Eine beträchtliche Anzahl war auch in hoch qualifizierten Berufen tätig (ISCO 2), insbesondere in Luxemburg, wo der Anteil am höchsten war (46%), sowie in Litauen und Dänemark (jeweils 28%).

Was die Gesamtbeschäftigung betrifft, so waren Migrant:innen, wie aus Abbildung 4 hervorgeht, meist in Positionen mit geringer Qualifikation beschäftigt, wie z. B. im Dienstleistungsbereich und im Verkauf (ISCO 5) sowie in einfachen Berufen (ISCO 9). Während Migrant:innen in der letztgenannten Kategorie 75% der Gesamtbeschäftigten ausmachten, wies Luxemburg auch einen ungewöhnlich hohen Prozentsatz (83%) von Migrant:innen in hochqualifizierten Führungspositionen (ISCO 1) auf und lag damit weit vor den anderen Ländern.

Wie Abbildung 5 und Abbildung 6 zeigen, variiert die Verteilung der Migrant:innen auch nach deren Bildungsniveau. Während in den meisten Ländern Migrant:innen mit mittlerem Bildungsniveau vorherrschend waren, wiesen Italien, Griechenland und Spanien einen höheren Anteil an Migranten mit niedrigem Bildungsniveau auf, was mit der geografischen Nähe dieser Länder zu Ländern mit einem niedrigeren durchschnittlichen Bildungsniveau zusammenhängt. Im Gegensatz dazu wies Luxemburg einen auffallend hohen Prozentsatz (55%) an hoch gebildeten Migrant:innen auf, was auf ein Mismatch hindeutet, da dies den Anteil an hochqualifizierten Berufen übersteigt, was wiederum auf eine potenzielle Überqualifizierung hindeutet.

Die unterschiedlichen Auswirkungen der technologischen Revolution auf einheimische und zugewanderte Arbeitskräfte

Angesichts dieser Unterschiede in den Beschäftigungsmustern kann erwartet werden, dass sich die technologische Revolution auf unterschiedliche Weise auf die Beschäftigungsmöglichkeiten für einheimische und zugewanderte Arbeitnehmer:innen auswirken wird. Eine detaillierte Analyse ermöglicht eine Bewertung der potenziellen Effekte und die Identifizierung von Ungleichheiten und liefert damit Informationen für politische Entscheidungen, die darauf abzielen, negative Auswirkungen abzumildern und gleichzeitig ein integratives Wachstum zu fördern. Dies ist wichtig, da die Integration von Migrant:innen in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft vor allem eng mit ihren Beschäftigungsaussichten verbunden ist. Daher ist es für die Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit der sozialen Integration, dem wirtschaftlichen Wohlergehen und dem gesellschaftlichen Zusammenhalt von entscheidender Bedeutung zu verstehen, wie sich die Einführung von Technologien auf die Beschäftigungsmuster von Migrant:innen auswirkt. In diesem Zusammenhang lassen sich die Ergebnisse von Ghodsi et al. (2024) wie folgt zusammenfassen:

Erstens weisen die Ergebnisse darauf hin, dass Innovationen die Beschäftigung von Migrant:innen eher fördern. Die Studie zeigt, dass technologische Innovationen, gemessen an der Zahl der erteilten Patente, sowohl die absolute Zahl als auch den Anteil der Wanderarbeitnehmer:innen an der Erwerbsbevölkerung tendenziell erhöhen. Dies deutet auf eine positive Korrelation zwischen neuen Technologien und Beschäftigungsmöglichkeiten für Migrant:innen hin.

Zweitens zeigen die Ergebnisse, dass Roboter Beschäftigung substituieren, allerdings weniger für Migrant:innen. Die Einführung von Robotern führt zwar zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen, aber die Auswirkungen sind bei einheimischen Arbeitnehmer:innen ausgeprägter als bei Arbeitsmigrant:innen. Dies führt zu einem relativen Anstieg des Anteils von Wanderarbeitnehmer:innen, was darauf hindeutet, dass Arbeitsplätze und Aufgaben von ausländischen Arbeitskräften weniger anfällig für automatisierungsbedingte Verdrängungen sein könnten.

Drittens zeigt die Digitalisierung unterschiedliche Auswirkungen. Die Übernahme digitaler Güter zeigt heterogene Auswirkungen auf die Beschäftigung von Migrant:innen; während einige digitale Technologien die Beschäftigung von Migrant:innen positiv beeinflussen, haben andere keine signifikanten Auswirkungen.

Die Untersuchung zeigt die unterschiedlichen Auswirkungen des technologischen Wandels auf die Beschäftigung von Migrant:innen auf und liefert Grundlagen für politische Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Integration und des sozialen Zusammenhalts. Um die Entwicklung von Qualifikationen zu unterstützen, müssen die politischen Entscheidungsträger:innen das lebenslange Lernen und die Verbesserung der Qualifikationen sowohl bei einheimischen als auch bei zugewanderten Arbeitnehmer:innen fördern und so ihre Fähigkeit zur Anpassung an den technologischen Wandel verbessern. Die Unterstützung muss auf die Gruppen ausgerichtet werden, die am stärksten von den Auswirkungen der Automatisierung und Digitalisierung betroffen sind, insbesondere in den am stärksten betroffenen Sektoren und Berufen. Umschulung und Höherqualifizierung sind ebenfalls erforderlich, um sowohl einheimischen als auch zugewanderten Arbeitnehmer:innen zu helfen, neue Technologien zu übernehmen.

Autoren:

Mahdi Ghodsi ist Wirtschaftswissenschaftler am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Senior Fellow und Leiter des Bereichs Wirtschaft am Center for Middle East and Global Order.

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw).

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.

Österreichs Handelsaktivitäten aus Wertschöpfungsperspektive

Österreichs Exporte sind in hohem Maße von ausländischen Vorleistungen abhängig. Diese machten im Jahr 2021 etwa 40% des Wertes der Bruttoexporte aus (wobei der Anteil in vielen Branchen noch höher war). Bezieht man die Vorleistungsimporte mit ein, so machen die Exporte rund 30% des österreichischen BIP aus; auch die Dienstleistungen tragen über interindustrielle Verflechtungen erheblich dazu bei.

Wie viel tragen die österreichischen Exporte zum österreichischen BIP bei? Diese Frage ist wichtig, da für kleine offene Volkswirtschaften wie Österreich die Auslandsmärkte für Produkte „Made in Austria“ wichtig sind. Um diese Frage zu beantworten, muss man die Tatsache berücksichtigen, dass viele der in Österreich produzierten Güter direkt und indirekt aus dem Ausland importierte Vorprodukte, wie Rohstoffe und Energie, Halbfertigprodukte oder High-Tech-Komponenten wie Computerchips, beinhalten. „Multi-Country Input-Output Tables“ (MC IOTs) ermöglichen es, solche Indikatoren und den Beitrag der Exporte unter Berücksichtigung der Importe zum österreichischen BIP zu berechnen. In diesem Bericht werden einige ausgewählte Muster und Trends aus einer solchen „Wertschöpfungsperspektive“ des Handels beleuchtet. Dies ermöglicht erstens die Berücksichtigung von Verflechtungen zwischen den Ländern und zwischen den Branchen. Zweitens ermöglicht die Verwendung solcher Daten auch die gleichzeitige Betrachtung der Rolle von Dienstleistungen und ihres Beitrags zur Produktion von Exporten.

Der Importanteil der Ausfuhren

Die erste Frage ist, inwieweit die Produktion von Ausfuhren auf Zwischenimporte – in Form der im Ausland generierten Wertschöpfung – angewiesen ist. Dies wird in Abbildung 1 dargestellt, die den sogenannten „Importanteil der Exporte“ auf Basis der von Eurostat/JRC veröffentlichten FIGARO-Daten von 2010 bis 2021 (das letzte verfügbare Jahr) zeigt (für weitere technische Details und einen Überblick über die Indikatoren siehe Stehrer, 2022). Während im Jahr 2010 der Anteil der ausländischen Wertschöpfung an den gesamten österreichischen Bruttoexporten (einschließlich aller Wirtschaftszweige) bei rund 36% lag, ist dieser Wert bis 2021 auf über 40% gestiegen. Hinter diesen Zahlen verbergen sich jedoch große Unterschiede zwischen den Branchen. Abbildung 2 zeigt daher den ausländischen Importanteil an den Bruttoexporten der einzelnen Branchen für die Jahre 2010 und 2021. Diese direkte und indirekte Abhängigkeit von Einfuhren ist im verarbeitenden Gewerbe am höchsten, mit fast 73% in C19 (Kokerei und Mineralölverarbeitung) und 65% in C29 (Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen). In acht Branchen liegt der Anteil bei über 50%.

Österreichs Wertschöpfungsexporte

Angesichts dieser (teilweise) starken Importabhängigkeit der Exporte stellt sich die zweite Frage nach dem Anteil der Exporte am BIP eines Landes. Anders ausgedrückt: Wie viel der in Österreich produzierten Wertschöpfung wird durch den Endverbrauch im Ausland absorbiert? Die Antwort – wie in Abbildung 3 dargestellt – ist, dass Österreichs Wertschöpfungsexporte etwa 30% der gesamten österreichischen Wertschöpfung ausmachen. Dies ist niedriger als das übliche Maß für die Offenheit eines Landes, das als Anteil der Bruttoexporte an der Gesamtwertschöpfung definiert ist und bei über 50% liegt. Der Unterschied ist auf die importierten Vorleistungen zurückzuführen, die für die Produktion der Exporte eines Landes benötigt werden.[1]

Diese Wertschöpfungsperspektive des Handels führt auch zu einer alternativen Sichtweise hinsichtlich der relativen Bedeutung von Branchen für Österreichs Exporte. Insbesondere tragen einige Dienstleistungsbranchen aufgrund starker interindustrieller Verflechtungen wesentlich zu Österreichs Wertschöpfungsexporten bei. In Abbildung 4 wird der Anteil der einzelnen Branchen an den österreichischen Bruttoexporten mit ihrem Anteil an den österreichischen Wertschöpfungsexporten im Jahr 2021 verglichen. So trägt beispielsweise die Branche G46 (Großhandel, ohne Handel mit Kraftfahrzeugen) mehr als 10% zu den österreichischen Wertschöpfungsexporten bei, während der Anteil an den Bruttoexporten mit rund 7% deutlich geringer ist. Ähnliche Muster (der Beitrag zu den Wertschöpfungsexporten ist größer als der Beitrag zu den Bruttoexporten) findet man in Branchen wie M69_70 (Rechts- und Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung), K64 (Erbringung von Finanzdienstleistungen, außer Versicherungen und Pensionskassen) und H49 und H52 (Verkehrswesen), um nur einige zu nennen. Diese Unternehmensdienstleistungen sind daher für die Produktion der Ausfuhren anderer Wirtschaftszweige, die auf ihre Vorleistungen angewiesen sind, von großer Bedeutung.

Umgekehrt trägt C28 (Maschinen- und Anlagenbau n.e.c.) zwar mehr als 10% zu den österreichischen Bruttoexporten bei, sein Anteil an den Wertschöpfungsexporten liegt jedoch bei 6,3%, da er auch auf die Wertschöpfung in anderen Branchen (und auf ausländische Vorleistungen, wie oben beschrieben) angewiesen ist. Dies gilt auch für andere (meist verarbeitende) Branchen wie C10T12 (Herstellung von Nahrungs- und Genussmitteln), C24 (Metallerzeugung und -bearbeitung), C29 (Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen) oder C20 (Herstellung von chemischen Erzeugnissen).

Abschließende Bemerkungen

In dieser Spotlight haben wir einige wichtige Aspekte hervorgehoben, wenn wir Österreichs Handelsmuster aus der Perspektive der Wertschöpfung betrachten. Dies ermöglicht uns erstens, die Bedeutung importierter Vorleistungen für die Produktion von Bruttoexporten zu berücksichtigen. Zweitens zeigt sich, dass bei Berücksichtigung dieser Vorleistungsimporte der Anteil der Wertschöpfungsexporte am BIP bei etwa 30% liegt – niedriger als das übliche Maß für Offenheit, das als Bruttoexporte im Verhältnis zum BIP definiert ist. Drittens schließlich erlaubt uns diese Perspektive, die wichtige Rolle der (Unternehmens-)Dienstleistungen und die Art und Weise, in der diese zur Produktion von Exporten anderer Branchen beitragen, zu berücksichtigen.


[1] Wir lassen einige subtile Unterschiede zwischen diesen beiden Maßen außer Acht (z. B. die Berücksichtigung von Re-Importen der Wertschöpfung usw.). Außerdem kann das Offenheitsmaß aufgrund unterschiedlicher Datenquellen variieren.

Autor:

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.

BRICS plus: Neue Weltordnung und Ende der Leitwährung US-Dollar?

Die politischen und wirtschaftlichen Interessen der heterogenen Ländergruppe unter Chinas Führung sind zu unterschiedlich, um die westliche Vorherrschaft ernsthaft zu gefährden. Bei den globalen Rohstoffvorkommen wären die BRICS-plus-Mitglieder aber als Block in der Lage, den Westen gehörig unter Druck zu setzen.

Es sind nicht alle glücklich mit den aktuellen Machtverhältnissen auf der Welt. Die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen die geopolitische und geoökonomische Ordnung ändern und ein Gegengewicht zu den USA und zum Westen schaffen. Anfang 2024 wurde die Allianz um fünf Staaten erweitert und heißt nun BRICS plus, wobei Argentinien seine Teilnahme auf Betreiben des neuen Präsidenten Javier Milei im letzten Moment abgesagt hat.

An dieser Stelle ein kleiner historischer Exkurs zur Entstehungsgeschichte: Seit dem Ende des Kalten Krieges herrscht die sogenannte Pax Americana, ein – bis vor kurzem – relativ stabiler Zustand, in dem vor allem die USA und ihre Verbündeten den geopolitischen und geoökonomischen Ton angeben. Der allergrößte Teil des Welthandels wird in US-Dollar abgewickelt, und in internationalen Gremien und Organisationen wie dem Währungsfonds oder der Weltbank sind die USA neben den anderen G7-Staaten das dominierende Schwergewicht. 2009 beschlossen Brasilien, Russland, Indien und China das zu ändern und gründeten die Staatengruppe BRIC. 2010 stieß Südafrika dazu, aus BRIC wurde BRICS. Anfang 2024 wurden auf Initiative von Peking Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Äthiopien aufgenommen. Das BRICS-Format avancierte damit zu BRICS plus. Vor allem Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping verspricht sich davon neue Möglichkeiten bei seinem Ansinnen, die globale Vorherrschaft der USA zu brechen.

Ende der amerikanischen Vorherrschaft und Schutz gegen Sanktionen

Die BRICS-plus-Neumitglieder Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sind wichtige Öl- und Gasproduzenten, Ägypten und Äthiopien bevölkerungsreiche Schlüsselplayer in Afrika. Irans Wirtschaft leidet massiv unter den amerikanischen Wirtschaftssanktionen und sucht dringend neue Handelspartner. Alle diese Mittelmächte haben ein gemeinsames Interesse, das der bekannte Politologe Ivan Krastev folgendermaßen formulierte: Sie wollen am Tisch sitzen und nicht auf der Speisekarte stehen. Sie möchten so wenig wie möglich über das von den USA geprägte internationale Finanzsystem handeln, sie wollen weniger abhängig vom Westen sein, und sie wollen damit vor allem auch etwaige westliche Wirtschaftssanktionen weniger bedrohlich machen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hat die Aufnahme von großen Produzenten fossiler Energieträger für China als Führungsmacht der BRICS-plus-Staaten einen besonderen Reiz. Peking könnte einen Krieg gegen Taiwan vorbereiten – zumindest als Option. Im Rahmen von verschiedenen Kriegsszenarien, die Chinas Führung wohl durchspielt, dürften mögliche Sanktionen des Westens dabei eine besondere Rolle spielen, auch mit Blick auf die harten Strafmaßnahmen gegen Russland nach seinem Überfall auf die Ukraine. Saudi-Arabien, den Iran und die Emirate im Konfliktfall an seiner Seite zu wissen, wäre für die Versorgung mit Erdöl und Erdgas überlebenswichtig und auch politisch hilfreich.

Heterogene Allianz

Doch wie realistisch ist die Etablierung einer neuen Weltordnung und die Ablösung des US-Dollar als globaler Leitwährung? Abgesehen von ihrer Skepsis gegenüber dem von den USA dominierten internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem eint die BRICS-plus-Mitglieder nicht viel – im Gegenteil. Indien und China tragen im Himalajagebirge seit Jahrzehnten einen blutigen Grenzkonflikt aus. Neu Dehli hat sich im geopolitischen Ringen zwischen den USA und China ganz klar auf die Seite Washingtons geschlagen und wird von diesem auch politisch und militärisch unterstützt. Zudem ist die indische Volkswirtschaft im Gegensatz zur chinesischen nach wie vor relativ geschlossen und vor allem auf den Binnenmarkt ausgerichtet, während China ökonomisch auf das Engste mit den USA und der EU verflochten ist, auch wenn es Abkoppelungstendenzen gibt. Saudi-Arabien und Iran sind Erzfeinde, die unter chinesischer Vermittlung erst im Mai 2023 ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen haben und sich im Nahen Osten nach wie vor feindselig gegenüberstehen. Saudi-Arabien pflegt eine strategische Sicherheits- und Energiepartnerschaft mit den USA, während der Iran immer wieder am Rande eines Krieges mit Washington und seinem Verbündeten Israel steht.

Abgesehen davon, dass die fünf BRICS-Gründungsmitglieder eine größere globale Rolle spielen wollten, waren sie nie wirklich gleichgesinnt. Während Russland und China sich immer stärker als Gegenpole zu den USA positionierten, näherte sich Indien sukzessive an die USA an, um einem aggressiver auftretenden China entgegenzutreten. Südafrika und Brasilien spielen nur gelegentlich mit der antiamerikanischen Option, während sie wirtschaftlich und politisch eng mit den USA verbunden bleiben. Nicht von ungefähr sind Indien, Brasilien und Südafrika Demokratien, während Russland und China Autokratien sind, die sich in diesem Punkt bestens mit den autoritären Herrschern Irans und Saudi-Arabiens verstehen.

Neben divergierenden politischen und wirtschaftlichen Interessen entzweit die BRICS-plus-Staaten auch ihr sehr unterschiedliches ökonomisches und demografisches Gewicht. Die fünf BRICS-Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika stellen zusammen rund 41 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1), vereinigen kaufkraftbereinigt rund 32 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf sich (Abbildung 2) und exportieren weltweit rund 20 Prozent aller Waren (Abbildung 3). Als BRICS- plus-Gruppe kommt der Block trotz fünf neuer Mitglieder nur auf wenig mehr, nämlich rund 45 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1), 36 Prozent des globalen BIP (Abbildung 2) und 25 Prozent der weltweiten Warenexporte (Abbildung 3). Die Erweiterung dürfte daher den Charakter des bislang exklusiven Clubs von regional führenden Ökonomien grundlegend verändern. An seine Stelle tritt eine kuriose Mischung aus sehr großen, großen, mittleren und kleinen Ländern, die zum Teil sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Dominiert wird die BRICS-plus-Gruppe ohnehin ganz klar von der Volksrepublik China, die fast zwei Drittel der Wirtschaftsleistung und 39 Prozent der Bevölkerung auf sich vereint. So nachvollziehbar der Führungsanspruch Pekings vor diesem Hintergrund auch sein mag, so problematisch sind diese Ungleichgewichte für ein gemeinsames Handeln auf Augenhöhe. Die Balance zwischen den Interessen der Juniorpartner und dem dominanten China dürfte damit delikat bleiben. Dass es Peking gelingt, aus einer derart heterogenen Gruppe von Ländern einen handlungsfähigen, international relevanten Block zu formieren, darf eher ausgeschlossen werden.

BRICS plus als potenzielle Rohstoff-Supermacht

Auch wenn es mehr gemeinsame politische Interessen gäbe, würde das wirtschaftliche Gewicht der BRICS plus nicht ausreichen, um die bisher von Amerika bestimmte Weltordnung – zumindest kurz- bis mittelfristig – auf den Kopf zu stellen, wie die oben genannten Zahlen zeigen. Dabei gibt es aber eine Ausnahme: Bei den Rohstoffvorkommen wären die BRICS-plus-Staaten als Block in einer dominanten Position. Durch die Aufnahme von Saudi-Arabien, des Iran und der Vereinigten Arabischen Emirate kommen sie auf 43 Prozent der weltweiten Erdölproduktion und einen sehr großen Anteil bei den globalen Reserven. Fast 40 Prozent der für die Produktion von Batterien für elektrische Fahrzeuge, Stromspeicher und Mikroelektronik notwendigen Vorkommen an Seltenen Erden sind in der Hand Chinas. Bei ihrer Verarbeitung hat das Reich der Mitte fast ein Monopol. In puncto Rohstoffversorgung könnte die BRICS-plus-Gruppe den Westen also potenziell gehörig unter Druck setzen, man denke an das Ölembargo der OPEC von 1973.

G7 und US-Dollar nach wie vor dominant

Gesamtökonomisch betrachtet ist eine Neuordnung der Welt und ein Ende des US-Dollars als Leitwährung aber vorerst ein Wunschtraum Pekings, Moskaus und Teherans, der auf absehbare Zeit nicht zu realisieren sein wird. Noch immer erwirtschaften die G7-Staaten, also die wichtigsten Industriestaaten des Westens, mit knapp 10 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1) rund 30 Prozent des globalen BIP (Abbildung 2) und exportieren rund 27 Prozent aller Waren (Abbildung 3). Nach wie vor dominieren die USA als immer noch größte Volkswirtschaft und einzige militärische Supermacht nicht nur die G7 sondern auch die Welt. Rund 62 Prozent der globalen Währungsreserven sind in US-Dollar angelegt, nur zwei Prozent in chinesischen Yuan. Auch die bisherige Bilanz der BRICS-Gruppe spricht gegen ein schnelles Ende der Pax Americana. Ihr bislang größter Erfolg war die Gründung der New Development Bank im Jahr 2014, einer Entwicklungsbank nach dem Vorbild der Weltbank. Bisher begab die Bank Kredite im Umfang von lediglich etwas mehr als 30 Milliarden US-Dollar. Bezeichnenderweise wurden die Kredite hauptsächlich in US-Dollar vergeben.

Aus der Sicht Chinas sind die magere Bilanz des bisherigen BRICS-Formats und die unsicheren Aussichten für BRICS plus aber verkraftbar. Das alte BRICS-Format hat die Interessen der Machthaber in Peking nicht wirklich vorangebracht. Warum also nicht einen Neustart versuchen, der die USA und ihre Partner zumindest irritiert und womöglich einige bilaterale Beziehungen intensivieren könnte, insbesondere im Nahen Osten, wo China mehr Einfluss gewinnen will. Gleichzeitig erlaubt die BRICS-plus-Initiative den daran beteiligten Mittelmächten, sich im beginnenden Kalten Krieg zwischen China und den USA als Akteure im geopolitischen Wettbewerb zu positionieren, um nicht Spielball oder Kriegsschauplatz zu werden.

Autor:
Mario Holzner ist Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und war 2023 Fellow der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW) der Europäischen Kommission.

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.

Bedeutung und Charakteristika der im österreichischen Außenhandel tätigen Firmen

Die durch Exportaktivitäten erzeugte Wirtschafsleistung in Österreich beträgt etwa 30%. In der Sachgüterindustrie sind durchschnittlich etwas mehr als zwei Drittel der Firmen international aktiv. Die Exportaktivitäten sind dabei auf Dauer angelegt. Größere Firmen sind wesentlich häufiger international aktiv und tragen den größten Teil an Exporten bei. Exportierende Unternehmen sind in Durchschnitt größer, erwirtschaften mehr Überschüsse und investieren mehr im Vergleich zu Firmen, die nicht exportieren. Diese bezahlen auch höhere Löhne, was jedoch nicht per se auf Exportaktivitäten sondern auf die höhere Produktivität zurückzuführen ist. Schließlich zeigt sich enge und gegenseitige Verbindung zwischen Exporten, F&E-Aktivitäten und Produktivität.

Österreichs Wohlstand hängt im hohen Umfang von Exporten ab. Ihr Anteil an der österreichischen Wirtschaftsleistung beträgt mehr als die Hälfte. Zieht man die für die Produktion der Exporte notwendigen Importe ab, stammt immer noch etwa ein Drittel der heimischen Wertschöpfung aus Exporten (siehe Grafik 1).

Trotz der großen Bedeutung der Exportwirtschaft für Österreich war bislang wenig über die Charakteristika exportierender Firmen bekannt. Wie groß ist der Anteil der österreichischen Unternehmen, die exportieren? Sind es vorrangig große oder kleine Firmen? Sind Exporteure produktiver und erfolgreicher?

Der Zugang zu Mikrodaten über das AMDC der Statistik Austria erlaubt erstmals detaillierte Antworten auf diese Fragen zu geben (Stehrer et al., 2022; Stehrer, 2023).

Wie viele Unternehmen exportieren wie viel?

Nicht alle Unternehmen exportieren. Im Durchschnitt über die Jahre 2013-2020 beträgt der Anteil der im Außenhandel tätigen Unternehmen in der österreichischen Sachgüterproduktion etwa 70%. Etwas mehr als 55% sind sowohl Exporteure als auch Importeure. Etwa 6% sind reine Exporteure, und nicht ganz 10% sind nur als reine Importeure international aktiv. Die restlichen 28% betreiben weder Exporte noch Importe (siehe Grafik 2).[1]

Die Exportaktivitäten österreichischer Unternehmen sind dabei auf Dauer angelegt. Etwa 90-95% der exportierenden Unternehmen eines Jahres exportieren auch im nächsten Jahr und nur 1-2% aller Unternehmen pro Jahr beenden ihre Exportaktivität. Weitere 5% der Unternehmen eines Jahres scheiden aufgrund einer Insolvenz oder Firmenschließung aus dem Markt aus.

Umgekehrt beginnen nur wenige nicht-exportierende Unternehmen (etwa 5% pro Jahr) mit Exportaktivitäten. Als Folge nimmt der Anteil der Exporteure an allen Unternehmen langsam, aber stetig zu, wie Grafik 2 zeigt. Waren 2013 noch 33% der Firmen nicht international aktiv, ist dieser Anteil bis 2020 auf etwa 26% gesunken. Auch die Wirtschaftskrise und die Störungen der Lieferketten infolge von Covid-19 konnten diesen Trend nicht stoppen.

Nicht-Exporteure haben auch eine höhere Wahrscheinlichkeit von etwa 5-10% aus dem Markt auszutreten. Im Durchschnitt treten pro Jahr etwa 5% der Unternehmen (in Prozent der existierenden Unternehmen) ein. Davon macht der Anteil jener Unternehmen, die sofort exportieren, etwa zwei Drittel aller Markteintritte aus.

Kleinere Firmen exportieren deutlich seltener als große Unternehmen. Während bei Firmen mit weniger als 10 Beschäftigten Exporteure in der Minderheit sind, exportieren etwa die Hälfte der Firmen mit 10 bis 49 Beschäftigten. Firmen mit mehr als 49 Beschäftigten sind sogar zu mehr als 80% Exporteure. Großunternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten, die nicht exportieren, kommen sehr selten vor (siehe Grafik 3).

Deutschland ist der wichtigste Exportmarkt österreichischer Firmen; das bedeutet allerdings nicht, dass sich österreichische Exporteure auf diesen Markt beschränken. Der Anteil der „marginalen Exporteure“, also von Firmen, die lediglich in ein Land exportieren, liegt bei nur 15% der exportierenden Firmen. Definiert man „marginale Exporteure“ etwas strenger als Firmen, die nur ein Produkt in ein bestimmtes Land exportieren, sinkt ihr Anteil auf nur mehr rund 7%. Die Anteile der „marginalen Importeure“ sind mit 7% und 3,5% nach diesen Definitionen nur halb so hoch. Wenig überraschend sind diese Anteile bei den kleineren Firmen wesentlich höher.

Insgesamt leistet eine kleine Zahl an Unternehmen einen großen Teil der Exportumsätze. Rund zwei Drittel der Exporte entfallen auf 5% der exportierenden Firmen, 75% auf etwa 10% der Firmen und 90% auf ein Viertel der im Export tätigen Unternehmen. Ähnlich sieht es beim Import aus. Lediglich 25% der Firmen zeichnen für 90% aller Importe verantwortlich. Unterscheidet man nach der unterschiedlichen Größe von Unternehmen, ist diese Konzentration zwar etwas geringer, aber immer noch stark ausgeprägt.

Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist diese Konzentration einerseits ein klares Zeichen für die Erfolge einiger österreichischer Unternehmen auf internationalen Märkten; sie bedeutet allerdings auch, dass es in der österreichischen Wirtschaft eine Gruppe von Unternehmen gibt, die möglicherweise deutlich anfälliger für internationale Nachfrageschocks oder Störungen internationaler Liefernetzwerke sind.

Die Stärken exportierender Firmen

Exportierende Unternehmen sind größer, erwirtschaften mehr Überschüsse und investieren mehr im Vergleich zu Firmen, die nicht exportieren. Diese „Exportprämie“ liegt absolut bei einem Faktor von etwa 2-3. Pro geleisteter Arbeitsstunde liegen Umsatz, Löhne und Betriebsüberschüsse bei Exporteuren um einen Faktor 1.2 bis 1.6 höher. Berücksichtigt man jedoch sowohl die Größe und Produktivität der exportierenden Firmen als auch sozio-ökonomische Merkmale (Bildung, Alter, Geschlecht) der Beschäftigten zeigt sich, dass die Exportaktivität nur einen sehr geringen positiven Effekt auf Löhne und Gehälter der Beschäftigten hat, was bedeutet, dass Produktivität und Performance der Firmen wichtigere Faktoren sind. Diese Zusammenhänge, zeigen sich auch in Bezug auf ihre Importtätigkeit. Auch sind Firmen, die Teil einer internationalen Unternehmensgruppe sind, sehr oft ebenfalls größer und produktiver als rein inländische Unternehmen. Dieses Muster entspricht sowohl den empirischen Ergebnissen für andere Länder als auch der gängigen theoretischen Literatur über die Performance heterogener Unternehmen. Auch Firmen, die nur in ein Land oder nur ein Produkt exportieren (marginale Exporteure), sind tendenziell größer und produktiver als Unternehmen ohne Exportaktivitäten, allerdings in geringerem Ausmaß als Firmen mit diversifiziertem Exportportfolio.

Eine Erklärung für die positive Exportprämie ist die gegenseitige, enge Verbindung zwischen Exporten und Produktivität: Exporteure sind produktiver als Nicht-Exporteure und eine höhere Produktivität in der Vergangenheit geht einher mit einer signifikant höheren Exportintensität. Exporteure betreiben auch häufiger Forschung und Entwicklung (F&E) und investieren häufiger in Digitalisierung als Nicht-Exporteure. Es gibt kaum F&E-aktive Unternehmen ohne Exporte und je mehr in F&E investiert wird, umso höher ist der Exportanteil am Umsatz. Die Kausalität zwischen Exporten und F&E läuft in beide Richtungen, d.h. Exporte schaffen Anreize und Druck, neue Produkte zu entwickeln, genauso wie F&E die Grundlage für Produkte schafft, die international vermarktet werden können.

Fazit

Exporte sind für den Wohlstand in Österreich von entscheidender Bedeutung. Neue Daten zeigen, dass Exportaktivitäten in der österreichischen Sachgüterproduktion sehr verbreitet sind; die Hälfte der Firmen mit 10 oder mehr Beschäftigten exportieren. Zwei Drittel der Exportumsätze entfallen allerdings auf nur 5% der exportierenden Firmen.

Exportierende Firmen sind größer und wirtschaftlich erfolgreicher; pro geleistete Arbeitsstunde liegen Umsatz, Löhne und Betriebsüberschüsse bei Exporteuren deutlich höher als bei Firmen, die nicht exportieren. Der entscheidende Faktor ist hier die höhere Produktivität exportierender Firmen: je produktiver eine Firma ist, desto besser kann sie sich auf Exportmärkten behaupten; umgekehrt zwingt die internationale Konkurrenz exportierende Firmen, ihre Produktivität permanent zu erhöhen.

Wirtschaftspolitisch ergibt sich daraus, dass Maßnahmen zur Förderung der Produktivität von Unternehmen zu einer besseren Exportperformance führen und umgekehrt Maßnahmen zur Förderung der Exportaktivitäten eventuell zu einer besseren Performance der Unternehmen führen. Insbesondere sind die engen Beziehungen zwischen F&E und Exporten wirtschaftspolitisch sehr wichtig, denn sie zeigen einen Weg zur Steigerung der Exportintensität über die Förderung von F&E und Innovation auf.

Wenn es wie in der Vergangenheit gelingt, die Zahl der F&E-betreibenden Unternehmen in Österreich zu erhöhen, wird auch der Anteil der Exporteure weiter steigen. Analoges gilt für den Zusammenhang zwischen Produktivität und Exporten. Maßnahmen, die die Produktivität erhöhen wie etwa Forschungsförderung sollten langfristig auch die Exporttätigkeit der österreichischen Unternehmen steigern. Im günstigsten Fall verstärken sich Exporte und Produktivität über die Zeit gegenseitig.


[1] Diese Zahlen beziehen sich auf die Primärerhebung der Leistungs- und Strukturerhebung (LSE).

Autoren:

Dr. Bernhard Dachs und Univ.-Doz. Dr. Robert Stehrer (wiiw)

Bernhard Dachs ist Senior Scientist am Center for Innovation Systems & Policy des AIT Austrian Institute of Technology in Wien. Er studierte Volkswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien und erhielt ein Doktorat in Wirtschaftswissenschaften der Universität Bremen. Seine Spezialgebiete sind Innovationsökonomie und Internationalisierung, insbesondere im Hinblick auf die Internationalisierung von F&E, die Auswirkungen von Digitalisierung auf den Außenhandel sowie internationale Wertschöpfungsketten. Seine Arbeit ist vor allem empirisch und angewandt. Er war in einer Reihe von Beratungs- und Forschungsprojekten für österreichische als auch internationale Auftraggeber tätig. Seine Forschungsergebnisse wurden in verschiedenen referierten Fachzeitschriften veröffentlicht.

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Leiter am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Seine Expertise deckt ein breites Feld der Wirtschaftsforschung ab, das von Fragen der internationalen Integration, des Handels und der technologischen Entwicklung bis hin zu Arbeitsmärkten und angewandter Ökonometrie reicht. Seine jüngsten Arbeiten konzentrieren sich auf die Analyse und die Auswirkungen der Internationalisierung der Produktion und des Wertschöpfungshandels. Weitere Beiträge beziehen sich auf den Zusammenhang von Digitalisierung, Demographie, Produktivität und Arbeitsmärkte. Er studierte Volkswirtschaft an der Johannes Kepler Universität und Soziologie am Institut für Höhere Studien (IHS) und ist Lektor für Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien) und der Technischen Universität Wien (TU Wien).

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.