BRICS plus: Neue Weltordnung und Ende der Leitwährung US-Dollar?

Die politischen und wirtschaftlichen Interessen der heterogenen Ländergruppe unter Chinas Führung sind zu unterschiedlich, um die westliche Vorherrschaft ernsthaft zu gefährden. Bei den globalen Rohstoffvorkommen wären die BRICS-plus-Mitglieder aber als Block in der Lage, den Westen gehörig unter Druck zu setzen.

Es sind nicht alle glücklich mit den aktuellen Machtverhältnissen auf der Welt. Die BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen die geopolitische und geoökonomische Ordnung ändern und ein Gegengewicht zu den USA und zum Westen schaffen. Anfang 2024 wurde die Allianz um fünf Staaten erweitert und heißt nun BRICS plus, wobei Argentinien seine Teilnahme auf Betreiben des neuen Präsidenten Javier Milei im letzten Moment abgesagt hat.

An dieser Stelle ein kleiner historischer Exkurs zur Entstehungsgeschichte: Seit dem Ende des Kalten Krieges herrscht die sogenannte Pax Americana, ein – bis vor kurzem – relativ stabiler Zustand, in dem vor allem die USA und ihre Verbündeten den geopolitischen und geoökonomischen Ton angeben. Der allergrößte Teil des Welthandels wird in US-Dollar abgewickelt, und in internationalen Gremien und Organisationen wie dem Währungsfonds oder der Weltbank sind die USA neben den anderen G7-Staaten das dominierende Schwergewicht. 2009 beschlossen Brasilien, Russland, Indien und China das zu ändern und gründeten die Staatengruppe BRIC. 2010 stieß Südafrika dazu, aus BRIC wurde BRICS. Anfang 2024 wurden auf Initiative von Peking Saudi-Arabien, der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Äthiopien aufgenommen. Das BRICS-Format avancierte damit zu BRICS plus. Vor allem Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping verspricht sich davon neue Möglichkeiten bei seinem Ansinnen, die globale Vorherrschaft der USA zu brechen.

Ende der amerikanischen Vorherrschaft und Schutz gegen Sanktionen

Die BRICS-plus-Neumitglieder Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate sind wichtige Öl- und Gasproduzenten, Ägypten und Äthiopien bevölkerungsreiche Schlüsselplayer in Afrika. Irans Wirtschaft leidet massiv unter den amerikanischen Wirtschaftssanktionen und sucht dringend neue Handelspartner. Alle diese Mittelmächte haben ein gemeinsames Interesse, das der bekannte Politologe Ivan Krastev folgendermaßen formulierte: Sie wollen am Tisch sitzen und nicht auf der Speisekarte stehen. Sie möchten so wenig wie möglich über das von den USA geprägte internationale Finanzsystem handeln, sie wollen weniger abhängig vom Westen sein, und sie wollen damit vor allem auch etwaige westliche Wirtschaftssanktionen weniger bedrohlich machen. Gerade unter diesem Gesichtspunkt hat die Aufnahme von großen Produzenten fossiler Energieträger für China als Führungsmacht der BRICS-plus-Staaten einen besonderen Reiz. Peking könnte einen Krieg gegen Taiwan vorbereiten – zumindest als Option. Im Rahmen von verschiedenen Kriegsszenarien, die Chinas Führung wohl durchspielt, dürften mögliche Sanktionen des Westens dabei eine besondere Rolle spielen, auch mit Blick auf die harten Strafmaßnahmen gegen Russland nach seinem Überfall auf die Ukraine. Saudi-Arabien, den Iran und die Emirate im Konfliktfall an seiner Seite zu wissen, wäre für die Versorgung mit Erdöl und Erdgas überlebenswichtig und auch politisch hilfreich.

Heterogene Allianz

Doch wie realistisch ist die Etablierung einer neuen Weltordnung und die Ablösung des US-Dollar als globaler Leitwährung? Abgesehen von ihrer Skepsis gegenüber dem von den USA dominierten internationalen Wirtschafts- und Finanzsystem eint die BRICS-plus-Mitglieder nicht viel – im Gegenteil. Indien und China tragen im Himalajagebirge seit Jahrzehnten einen blutigen Grenzkonflikt aus. Neu Dehli hat sich im geopolitischen Ringen zwischen den USA und China ganz klar auf die Seite Washingtons geschlagen und wird von diesem auch politisch und militärisch unterstützt. Zudem ist die indische Volkswirtschaft im Gegensatz zur chinesischen nach wie vor relativ geschlossen und vor allem auf den Binnenmarkt ausgerichtet, während China ökonomisch auf das Engste mit den USA und der EU verflochten ist, auch wenn es Abkoppelungstendenzen gibt. Saudi-Arabien und Iran sind Erzfeinde, die unter chinesischer Vermittlung erst im Mai 2023 ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen haben und sich im Nahen Osten nach wie vor feindselig gegenüberstehen. Saudi-Arabien pflegt eine strategische Sicherheits- und Energiepartnerschaft mit den USA, während der Iran immer wieder am Rande eines Krieges mit Washington und seinem Verbündeten Israel steht.

Abgesehen davon, dass die fünf BRICS-Gründungsmitglieder eine größere globale Rolle spielen wollten, waren sie nie wirklich gleichgesinnt. Während Russland und China sich immer stärker als Gegenpole zu den USA positionierten, näherte sich Indien sukzessive an die USA an, um einem aggressiver auftretenden China entgegenzutreten. Südafrika und Brasilien spielen nur gelegentlich mit der antiamerikanischen Option, während sie wirtschaftlich und politisch eng mit den USA verbunden bleiben. Nicht von ungefähr sind Indien, Brasilien und Südafrika Demokratien, während Russland und China Autokratien sind, die sich in diesem Punkt bestens mit den autoritären Herrschern Irans und Saudi-Arabiens verstehen.

Neben divergierenden politischen und wirtschaftlichen Interessen entzweit die BRICS-plus-Staaten auch ihr sehr unterschiedliches ökonomisches und demografisches Gewicht. Die fünf BRICS-Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika stellen zusammen rund 41 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1), vereinigen kaufkraftbereinigt rund 32 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung auf sich (Abbildung 2) und exportieren weltweit rund 20 Prozent aller Waren (Abbildung 3). Als BRICS- plus-Gruppe kommt der Block trotz fünf neuer Mitglieder nur auf wenig mehr, nämlich rund 45 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1), 36 Prozent des globalen BIP (Abbildung 2) und 25 Prozent der weltweiten Warenexporte (Abbildung 3). Die Erweiterung dürfte daher den Charakter des bislang exklusiven Clubs von regional führenden Ökonomien grundlegend verändern. An seine Stelle tritt eine kuriose Mischung aus sehr großen, großen, mittleren und kleinen Ländern, die zum Teil sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Dominiert wird die BRICS-plus-Gruppe ohnehin ganz klar von der Volksrepublik China, die fast zwei Drittel der Wirtschaftsleistung und 39 Prozent der Bevölkerung auf sich vereint. So nachvollziehbar der Führungsanspruch Pekings vor diesem Hintergrund auch sein mag, so problematisch sind diese Ungleichgewichte für ein gemeinsames Handeln auf Augenhöhe. Die Balance zwischen den Interessen der Juniorpartner und dem dominanten China dürfte damit delikat bleiben. Dass es Peking gelingt, aus einer derart heterogenen Gruppe von Ländern einen handlungsfähigen, international relevanten Block zu formieren, darf eher ausgeschlossen werden.

BRICS plus als potenzielle Rohstoff-Supermacht

Auch wenn es mehr gemeinsame politische Interessen gäbe, würde das wirtschaftliche Gewicht der BRICS plus nicht ausreichen, um die bisher von Amerika bestimmte Weltordnung – zumindest kurz- bis mittelfristig – auf den Kopf zu stellen, wie die oben genannten Zahlen zeigen. Dabei gibt es aber eine Ausnahme: Bei den Rohstoffvorkommen wären die BRICS-plus-Staaten als Block in einer dominanten Position. Durch die Aufnahme von Saudi-Arabien, des Iran und der Vereinigten Arabischen Emirate kommen sie auf 43 Prozent der weltweiten Erdölproduktion und einen sehr großen Anteil bei den globalen Reserven. Fast 40 Prozent der für die Produktion von Batterien für elektrische Fahrzeuge, Stromspeicher und Mikroelektronik notwendigen Vorkommen an Seltenen Erden sind in der Hand Chinas. Bei ihrer Verarbeitung hat das Reich der Mitte fast ein Monopol. In puncto Rohstoffversorgung könnte die BRICS-plus-Gruppe den Westen also potenziell gehörig unter Druck setzen, man denke an das Ölembargo der OPEC von 1973.

G7 und US-Dollar nach wie vor dominant

Gesamtökonomisch betrachtet ist eine Neuordnung der Welt und ein Ende des US-Dollars als Leitwährung aber vorerst ein Wunschtraum Pekings, Moskaus und Teherans, der auf absehbare Zeit nicht zu realisieren sein wird. Noch immer erwirtschaften die G7-Staaten, also die wichtigsten Industriestaaten des Westens, mit knapp 10 Prozent der Weltbevölkerung (Abbildung 1) rund 30 Prozent des globalen BIP (Abbildung 2) und exportieren rund 27 Prozent aller Waren (Abbildung 3). Nach wie vor dominieren die USA als immer noch größte Volkswirtschaft und einzige militärische Supermacht nicht nur die G7 sondern auch die Welt. Rund 62 Prozent der globalen Währungsreserven sind in US-Dollar angelegt, nur zwei Prozent in chinesischen Yuan. Auch die bisherige Bilanz der BRICS-Gruppe spricht gegen ein schnelles Ende der Pax Americana. Ihr bislang größter Erfolg war die Gründung der New Development Bank im Jahr 2014, einer Entwicklungsbank nach dem Vorbild der Weltbank. Bisher begab die Bank Kredite im Umfang von lediglich etwas mehr als 30 Milliarden US-Dollar. Bezeichnenderweise wurden die Kredite hauptsächlich in US-Dollar vergeben.

Aus der Sicht Chinas sind die magere Bilanz des bisherigen BRICS-Formats und die unsicheren Aussichten für BRICS plus aber verkraftbar. Das alte BRICS-Format hat die Interessen der Machthaber in Peking nicht wirklich vorangebracht. Warum also nicht einen Neustart versuchen, der die USA und ihre Partner zumindest irritiert und womöglich einige bilaterale Beziehungen intensivieren könnte, insbesondere im Nahen Osten, wo China mehr Einfluss gewinnen will. Gleichzeitig erlaubt die BRICS-plus-Initiative den daran beteiligten Mittelmächten, sich im beginnenden Kalten Krieg zwischen China und den USA als Akteure im geopolitischen Wettbewerb zu positionieren, um nicht Spielball oder Kriegsschauplatz zu werden.

Autor:
Mario Holzner ist Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und war 2023 Fellow der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW) der Europäischen Kommission.

Die Grafiken wurden von Alireza Sabouniha erstellt. Alireza Sabouniha ist Research Assistant am wiiw und hat kürzlich sein Masterstudium in Volkswirtschaft an der WU Wien abgeschlossen.