Volkswirtschaftliche Kosten der Russland-Sanktionen

Im Fokus dieses FIW-Spotlights steht die Wirkung von Sanktionen auf den Handel der Europäischen Union (EU) und Österreichs mit Russland. Die Verhängung von Sanktionen hat zu einem erheblichen Einbruch im Handel geführt, mit einem Rückgang der EU-Exporte nach Russland um 40% und der österreichischen Exporte um 19%. Bemerkenswert ist, dass Russland die wirtschaftlichen Kosten dieser Sanktionen trägt, wie durch einen signifikanten BIP-Verlust von dauerhaft 7,9% verdeutlicht wird. Diese Analyse zeigt die tiefgreifenden Auswirkungen von Sanktionen auf die internationalen Handelsbeziehungen sowie die wirtschaftlichen Einbußen des sanktionierten Landes, in diesem Fall Russland.

Der Überfall auf die Ukraine durch Russland im Februar 2022 hat weltweit zu einer Welle der Empörung geführt und eine komplexe Reaktion von Sanktionen und Gegensanktionen ausgelöst. Diese politischen Maßnahmen haben nicht nur direkte Auswirkungen auf die beteiligten Nationen, sondern senden auch Schockwellen durch die globale Wirtschaft, die weit über die unmittelbar betroffenen Länder hinausreichen. In einer Zeit, in der die Weltwirtschaft noch mit den Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie kämpft, ist das Verständnis der ökonomischen Kosten dieser Sanktionen von entscheidender Bedeutung.

Zu Beginn des Konflikts wurden zeitnah Studien veröffentlicht, die die wirtschaftlichen Kosten möglicher Sanktionen und Handelsstopps analysierten (Bachmann et al., 2022; Balma et al., 2022). Damals war es jedoch noch nicht möglich, den genauen Einfluss dieser Maßnahmen auf den Handel zu messen. Die Autor:innen konnten nur Annahmen zugrunde legen und Modelle erstellen. Siebzehn Monate später ist es nun möglich, die Veränderungen im Handelsvolumen zu messen und somit eine präzise Analyse der Kosten dieser Maßnahmen zu erstellen. Zunächst wirft der Autor einen Blick auf die Auswirkungen der Sanktionen auf den Handel, bevor in einem hypothetischen Szenario die makroökonomischen Folgen genauer untersucht werden.

Der Handel bricht ein

Die ergriffenen Sanktionen haben den Handel mit Russland erheblich beeinflusst. Die Exporte der EU nach Russland sind mit dem Inkrafttreten der ersten Sanktionspakete im Mai 2022 um über 60% eingebrochen. Anschließend haben sich die Exporte etwas erholt. Dennoch lagen sie im Januar 2023 noch immer 40% unterhalb des mehrjährigen Mittels. Diese aggregierten Zahlen auf EU-Ebene geben keinen Aufschluss über die Unterschiede in der Handelsdepression zwischen den Mitgliedsländern (siehe Grafik 1). Von den größten Mitgliedsländern gingen die Exporte von Frankreich und Deutschland nach Russland am stärksten zurück. Die deutschen Exporte lagen im Januar um 59%, die französischen um 48% unter dem langjährigen Durchschnitt.  Weniger stark betroffen ist der Handel Österreichs mit Russland. Österreichische Exporte sanken zunächst um 41% im Mai 2022. Anschließend erholten sie sich wieder und erreichten im Juli 2022 sogar ein Plus von 2%. Dennoch haben die Sanktionen auch für Österreich negative Auswirkungen auf den Handel. Im Januar 2023 lagen die Exporte noch 19% unterhalb des mehrjährigen Mittels. Die unterschiedlichen Handelseffekte zwischen den Mitgliedsländern zeigen, dass die Länder ganz verschiedene Güter mit Russland handeln. Dabei sind in jedem „Warenkorb“ unterschiedliche Anteile von sanktionierten Gütern und Dienstleistungen enthalten. So enthält der österreichische Export-Mix überdurchschnittlich viele nicht sanktionierte Warengruppen, wie z.B. Lebensmittel und pharmazeutische Produkte, wodurch der geringe Rückgang erklärt wird.

Um die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Sanktionen zu berechnen, müssen die verschiedenen „Warenkörbe“ der Länder im Handel mit Russland berücksichtigt werden. Dazu berechnet der Autor zunächst den Sanktionseffekt auf der Ebene verschiedener Produktgruppen mit der sogenannten „Gravitationsgleichung“ aus der internationalen Handelsliteratur (Head und Mayer, 2014). Anschließend verwendet der Autor diese Sanktionseffekte in einem Modell des internationalen Handels (Felbermayr et al., 2023). Hiermit kann der Autor das folgende „Was-wäre-wenn“-Szenario untersuchen: Wie würde die Welt aussehen, wenn es nur die Russlandsanktionen gibt, aber alle weiteren wirtschaftlichen Einflussfaktoren konstant gehalten werden? Da alle weiteren Einflussfaktoren ausgeschlossen werden – zum Beispiel andere Krisen oder politische Maßnahmen im letzten Jahr – kann der „pure“ Effekt der Sanktionen untersucht werden.

Russland ist der große Verlierer

Die Berechnungen zeigen, dass Russland eindeutig die Kosten der Sanktionen trägt (siehe Grafik 2). Das russische BIP sinkt durch die Sanktionen des Westens und russischer Gegensanktionen langfristig um 7,9%. Das heißt, allein die Sanktionen senken das Niveau der russischen Wirtschaft dauerhaft. Anders ausgedrückt: Ohne die Sanktionen wäre die russische Gesellschaft 7,9% „reicher“. Der Effekt bleibt auch dann bestehen, wenn die russische Wirtschaft in Zukunft wieder real wachsen sollte.

Im Gegensatz dazu fällt das BIP in der EU lediglich um 0,21%. Das entspricht einer Summe von 33 Mrd. Euro. Von den großen Mitgliedsländern ist Deutschland am stärksten betroffen. Das deutsche BIP sinkt um 0,26%. Das liegt vor allem an der Abhängigkeit von Energieimporten aus Russland. In Österreich sinkt das BIP um 0,2% und ist damit leicht unterhalb des EU Durchschnitts.

Österreichische Exporte sinken um 1,7%. Am stärksten sind pharmazeutische Produkte (-9,5%) und der Sonstige Fahrzeugbau (-8,6%) betroffen. Maschinen und Geräte (-4%) und Elektronisches Equipment (-2,2%) sind weitere exportstarke Sektoren, die negativ betroffen sind (siehe Grafik 3). Einige Sektoren profitieren allerdings auch von den Sanktionen. Wenig überraschend steigen die Exporte von Petroleum (11,9%) deutlich an. Österreich kann hier einen Teil der weggebrochenen russischen Exporte übernehmen. Die Herstellung von Petroleum bezieht sich auf die Verarbeitung von Rohöl. Österreich produziert kein Öl, sondern verarbeitet mehr importiertes Öl als vor den Sanktionen, als auch Petroleum direkt aus Russland in die EU importiert wurde. Weitere Sektoren, die von den Sanktionen profitieren, sind die Herstellung und das Gießen von Metallen und der Bergbau von Metallerzen, deren Exporte jeweils um 1,6% steigen.

Die Analyse der Russland-Sanktionen unterstreicht die komplexen und weitreichenden Auswirkungen politischer Maßnahmen auf die globale Wirtschaft. Während die Sanktionen Russland erheblich treffen, mit einem langfristigen BIP-Verlust von 7,9%, sind die Auswirkungen auf die EU insgesamt geringer, aber dennoch spürbar. Die österreichische Wirtschaft kann einen Teil der sanktionierten Handelsflüsse des Westens mit Russland übernehmen. Es reicht allerdings nicht aus, um die volkswirtschaftlichen Kosten für Österreich auszugleichen.

Autor:

Hendrik Mahlkow ist seit 2023 als Ökonom in der Forschungsgruppe „Industrie-, Innovations- und internationale Ökonomie“ am WIFO tätig. Er ist ein quantitativ arbeitender Außenhandelsökonom, der vor allem an umweltökonomischen und geopolitischen Fragestellungen interessiert es. Mit Hilfe großer empirisch geeichter Simulationsmodellen berechnet er sogenannte kontrafaktische Szenarien: „Was-Wenn-Überlegungen“, die erlauben, geplante Politikmaßnahmen zu evaluieren, oder bereits umgesetzte Maßnahmen ex post zu überprüfen. Er promoviert an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in „Quantitative Economics“. Zuletzt verbrachte er ein Forschungssemester an der Universität von Kalifornien in Berkeley.

References:

  1. Bachmann, Ruediger, David Baqaee, Christian Bayer, Moritz Kuhn, Andreas Löschel, Benjamin Moll, Andreas Peichl, Karen Pittel, and Moritz Schularick, „What if? The economic effects for Germany of a stop of energy imports from Russia,“ Technical Report, ECONtribute Policy Brief 2022.
  2. Balma, Lacina, Tobias Heidland, Sebastian Jävervall, Hendrik Mahlkow, Adamon N Mukasa, and Andinet Woldemichael, „Long-run impacts of the conflict in Ukraine on food security in Africa,“ Technical Report, Kiel Policy Brief 2022.
  3. Felbermayr, Gabriel, Hendrik Mahlkow, and Alexander Sandkamp, „Cutting through the value chain: The long-run effects of decoupling the East from the West,“ Empirica, 2023, 50 (1), 75–108.
  4. Head, Keith and Thierry Mayer, „Gravity equations: Workhorse, toolkit, and cookbook,“ in „Handbook of international economics,“ Vol. 4, Elsevier, 2014, pp. 131–195.

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